"In einem Zug": Enttäuschender Liebesroman von Daniel Glattauer
"In einem Zug" hat einige Highlights - an den Charme und die Originalität von Daniel Glattauers Bestseller "Gut gegen Nordwind" kann dieser Roman über die Liebe aber nicht anknüpfen.
Ein Mann, eine Frau, ein Zugabteil: Die Grundidee dieses Romans ist so simpel wie gut.
Schräg gegenüber sitzt eine Frau mittleren Alters. Eher frühen mittleren Alters. Mehr kann ich vorerst nicht über sie sagen. Ich bin keiner, der schräg gegenübersitzende Frauen im Zug taxiert, schon gar nicht mittleren, geschweige denn frühen mittleren Alters. Leseprobe
Und wenn dann noch der Glattauer-Erzählsound dazukommt, kann eigentlich nichts schiefgehen, denkt man als Leserin. Und steigt freudig mit dem Ich-Erzähler Eduard und seiner Bekanntschaft Catrin in den Zug.
Die Reise beginnt in Wien und geht nach München. Vier Stunden sind die beiden unterwegs - viel länger dauert es auch nicht, die gut 200 Seiten von "In einem Zug" zu lesen. Und danach das Buch schwer enttäuscht zuzuklappen. Aber der Reihe nach…
Eine anregende Begegnung im Zugabteil
Eduard Brünhofer, ein bekannter Liebesroman-Autor mit Schreibblockade, fährt also mit der Bahn nach München zu einem Termin. Dabei trifft er in seinem Abteil die Psychologin und Physiotherapeutin im frühen mittleren Alter, die sich später als Catrin vorstellt:
"Entschuldigung, darf ich Sie etwas fragen?", fragt die Frau. Leseprobe
Eduard glaubt sofort, die Frau habe ihn erkannt. In Gedanken spinnt er den Dialog weiter:
Entweder kommt: "Sind Sie der Autor?" Oder sie geht den direkten Weg und fragt: "Sind Sie Eduard Brünhofer?" Oder resoluter noch: "Sie sind Eduard Brünhofer, stimmt’s?" Oder, gleich auch den Zauber der Exklusivität dazugepackt: "Sind Sie der Eduard Brünhofer?" Leseprobe
Doch es kommt ganz anders: Catrin hat Eduard für ihren ehemaligen Englischlehrer gehalten.
Der Esprit der ersten Seiten geht schnell verloren
Der Ton: locker. Die Dialoge: schnell und pointiert. Das Spiel mit den Erwartungen - das kann Daniel Glattauer wie kaum ein anderer. Die ersten 50 Seiten von "In einem Zug" sind richtig gut. Zwischen Eduard und Catrin entspinnt sich ein angeregtes Gespräch:
"Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben?", fragt sie. "Ihre Frage ist klüger als jede mögliche Antwort darauf", erwidere ich. "Danke. Probieren Sie es trotzdem", sagt sie. Leseprobe
Noch hofft man, dass es so weitergeht. Aber leider wird es dann recht zäh. Obwohl die Protagonisten viel reden - über die Liebe, über Alkohol, Eduards Ehe und Catrins Affäre -, geht der Esprit der ersten Seiten schnell verloren. Der vermeintliche "deep talk" der Protagonisten dreht sich im Kreis. Catrins bohrende Nachfragen fühlen sich nicht nur für Eduard unangenehm an, sondern auch für die Leser.
Unglaubwürdiges Ende sorgt für Verdruss
Immer wieder fragt man sich: Wie viel Glattauer steckt in diesem Eduard Brünhofer? Ist auch Daniel Glattauer es leid, Liebesromane zu schreiben? Antworten findet man nicht, und der Grat zwischen Selbstironie und Eitelkeit ist hier sehr schmal. Und so könnte "In einem Zug" enden: Ohne große Erkenntnisse trennen sich die Wege von Eduard und Catrin in München wieder. Aber auf Seite 174 nimmt die Handlung noch eine recht unerwartete Wendung:
Sie seufzt tief. "Ich muss Dir was gestehen."
Und was dann herauskommt, ist ärgerlich und irgendwie plump. Damit wirkt das Ende des Romans leider komplett unglaubwürdig und konstruiert. Schade!
"In einem Zug" hat einige Highlights - an den Charme und die Originalität von Glattauers Bestseller "Gut gegen Nordwind" kann dieser Roman über die Liebe aber nicht anknüpfen.
In einem Zug
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Dumont
- Bestellnummer:
- 978-3-7558-0040-8
- Preis:
- 23 €