"Ein anderes Leben": Caroline Peters' berührender Debütroman
Das überwältigend vielschichtige und klug erzählte Debüt von Schauspielerin Caroline Peters ist auch eine Mutter-Tochter-Geschichte. Aber vor allem geht es um das Erinnern.
Im Vergleich mit anderen Müttern ist in Hannas Leben vieles "anders". Und "anders" ist ihr wichtig:
"Niemand, der auf sich hält, macht es so wie alle anderen und ist pünktlich." Hannas Verachtung für die schwächlichste aller Verhaltensweisen: es so machen wie alle anderen. Leseprobe
Dass Zuspätkommen der jüngsten Tochter peinlich sein könnte, ist für Hanna belanglos. Die promovierte Germanistin und Slawistin hat nämlich nicht so sehr Haushalt und Kindererziehung im Kopf, sondern Literatur. Aber der Alltag mit drei Töchtern und Ehemann Peter - einem vielbeschäftigten Architekten - lässt ihr wenig Zeit, ihrer Leidenschaft nachzugehen: das Übersetzen russischer Lyrik. Die namenlose Erzählerin erinnert sich an Sonntage, an denen Hanna sekttrinkend im Bett liegt und aus russischen Klassikern vorliest. Aber wenn die Tochter ein von Hanna ins Deutsche übertragene Wort kritisiert wird, ist Hanna außer sich:
Eine falsche Wortwahl bringt sie in Rage. Im Winter mit Badeanzug und Gummistiefeln bekleidet in den Kindergarten wollen, die Tischdecke mit Tomatensoße vollschmieren, alles kein Problem, aber ein falsches Wort am Sonntagmorgen im Bett benutzen, das ist zuviel. Leseprobe
Auch solche Bohème-Momente gehören also zu diesem ungewöhnlichen Familienleben.
Der Wahrheitsgehalt von Erinnerungen
Caroline Peters' überwältigend vielschichtiger und klug erzählter Roman ist auch eine Mutter-Tochter-Geschichte. Denn Jahre nach Hannas Tod spielt das nachträgliche Verstehen und Verzeihen eine große Rolle. Aber vor allem geht es um das Erinnern.
Hannas Töchter stammen von drei unterschiedlichen Vätern. Wie Peter waren auch Klaus, der Vater von Laura und Roberto, Lottas Vater, Hannas Studienfreunde. Laura und Lotta wachsen dann - in den 70er- und 80er-Jahren - zusammen mit ihrer jüngsten Schwester bei Hanna und Peter auf, genannt "Bow". Hanna hat ihn nach einer gemeinsamen Moskau-Reise so getauft:
Als sie eines Abends von einem Essen zurückkamen, stellte Papa ein Bein aus dem Bett und sprach Hannas Russisch nach: "Biw Bow Bow labafflamow, labimlabow, bow bow". Am nächsten Tag zog Hanna ihn bei Hering und Tee damit auf und nannte ihn Biw Bowlamow. Hanna lachte noch Wochen nach der Heimkehr darüber, und wir Töchter lachten mit ihr. So wurde aus Papa Peter Papa Bow. Leseprobe
Der Roman beginnt mit Bows Beerdigung. Und bringt den Kampf um den Wahrheitsgehalt von Erinnerungen in Gang. Wer hat in der Kindheit wann was gesagt, gefragt, gemeint, wessen Deutung stimmt? Ein wiederkehrendes emotionales Kräftemessen. Hat Hanna nun als Uni-Bibliothekarin gearbeitet, oder doch nicht?
Mit Charme, Witz und Originalität
Hanna und ihre Töchter und ihre Männer: In "Ein anderes Leben" erzählt die Autorin gleichzeitig chronistisch wie tief emotional von einer Frau, die in ihrem Leben nach Freiräumen gesucht und sie sich genommen hat. Caroline Peters' Charme und Witz, ihre Tiefe und Originalität, die sie uns als Schauspielerin zeigt, schimmert auch durch die Zeilen ihres aufregend zu Herzen gehenden Debütromans. Dringende Durchsage an Frau Peters: Bitte schreiben Sie weiter!
Ein anderes Leben
- Seitenzahl:
- 240 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt Berlin
- Bestellnummer:
- 978-3-7371-0165-3
- Preis:
- 23 €