"Die Hoffnung der Chani Kaufman": Innenansichten einer orthodoxen Gemeinde
Nach Eve Harris' "Die Hochzeit der Chani Kaufman" folgt nun der nicht minder mit Suspense gewürzte Roman "Die Hoffnung der Chani Kaufmann". Die Autorin lässt in ihr bitterböses Buch Insiderwissen und Humor einfließen.
Die frisch vermählten Eheleute Chani und Baruch der Gemeinde von Golders Green, dem Viertel im Nordwesten von London, in dem vorwiegend orthodoxe Juden wohnen, finden sich in einer Fruchtbarkeitsklinik wieder. Ganz und gar unwohl fühlen sie sich, gezwungen ihr Intimstes in Reagenzgläsern abzufüllen und professionell lächelnden Krankenschwestern zu übergeben. Chanis Körper will nicht schwanger werden.
Intrigen in Golders Green
Nach und nach enthüllt sich die intrigante Struktur dieser Gemeinschaft. Da geht die Schwiegermutter schon mal zur Heiratsvermittlerin, um ihrem noch verheirateten, doch leider kinderlosen Prinzen eine willige Jungfrau zuzuführen. Rebecca, die in Harris Debütroman den einst liberalen Juden Chaim geheiratet hat, der sich zum konservativen Rabbiner Chaim Zilbermann und zu einer Säule der Gemeinde von Golders Green entwickelte, bricht nun nach dem Tode ihres ersten Kindes aus der Ehe aus und kämpft in Jeans und ohne Scheitel - der vorgeschriebenen Perücke orthodox-jüdischer Ehefrauen - um ihre Kinder.
Die Kleidervorschriften der pietistischen orthodoxen Gemeinde dienen nicht allein dazu, sich nicht-jüdischen Menschen gegenüber abzugrenzen, sie gehören - wie der biblische Satz "Seid fruchtbar und mehret euch" - unmittelbar zum Gottesdienst. Und ganz besonders für die Gattin des Rabbiners, die Rebbetzin, die da in Jeans und Sneakers im koscheren Kramladen steht.
Es war wie eine Ohrfeige. Rivka stand einen Moment benommen da, während sich um sie herum Gemurmel erhob. (...) Sie fühlte sich besudelt, verabscheuenswert und - zum ersten Mal, seit sie ihre Familie verlassen hatte - beschämt. Mit von Tränen verschwommenem Blick eilte sie in die Sicherheit des Untergrundes. Leseprobe
Gewalt, Mobbing und die Freuden der körperlichen Liebe
Dass Rivka später von einem Schläger der Gemeinde auf offener Straße körperlich angegriffen wird, dass ihr Jüngster in der Schule gemobbt wird und mit dem Kopf in der Kloschüssel landet, gehört mit zu dem Kampf dieser Londoner Gemeinde um ihren inneren Halt. Abraham, der älteste Rabbinersohn, hat es dagegen besser. Er erfährt bei seinem Ausbruch aus der Talmudschule die Freuden der körperlichen Liebe. Logisch, dass er vom Glauben abzufallen droht.
Baruch kam ein Gedanke. "Vielleicht ist es ganz gut, wenn du dir eine Pause gönnst. Du könntest übers Wochenende nach Tel Aviv fahren."
Tel Aviv. Die Stadt des Hedonismus. In Jerusalem, da betet man, in Tel Aviv ist Spielen dran.
Leseprobe
Baruch, der unglückliche Ehemann von Chani Kaufmann, ist der beste Freund von Abraham. Und die Irrungen und Wirrungen von Abraham bilden den dritten Strang dieses Romans.
Eve Harris' Roman glänzt mit Insiderwissen und Humor
Doch Vorsicht, diese bitterböse Analyse der orthodoxen Gemeinde von Golders Green ist mit britischem Humor gewürzt, anders als die Austrittsberichte manch jüdischer Autorinnen im Rampenlicht. Es ist eine Gemeinschaft, die durch das religiöse Korsett stählerner Gebote und verpflichtender guter Taten zusammengehalten wird. Freiheit gibt es hier nicht und die Liebe gilt als störendes Element und unzuverlässige Bedrohung des Alltags.
Eve Harris hat mit ihrem differenzierten, unprätentiösen Insiderwissen und Humor über diese Innenansichten einer orthodoxen Gemeinde erneut einen Bestseller geschrieben, zu dem man ihr nur gratulieren kann.
Die Hoffnung der Chani Kaufman
- Seitenzahl:
- 512 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt
- Verlag:
- Diogenes
- Bestellnummer:
- 978-3-257-07255-6
- Preis:
- 25 €