"Das Haus in dem Gudelia stirbt": Einer der besten Krimis des Jahres
Wie Thomas Knüwer auf drei Zeitebenen von dem Leben der alten Gudelia und ihrem Geheimnis berichtet, ist große Erzählkunst. Nach diesem Verlagsdebüt hofft man auf mehr von diesem Autor.
Manche Debütanten im Literaturbetrieb haben bei Erscheinen ihrer ersten Verlagsveröffentlichung bereits einiges auf dem Kerbholz: Thomas Knüwer aus Hamburg, Jahrgang 1983, ist so einer. Als führender Kopf einer großen Digital- und Kreativagentur ist er schon über hundert Mal preisgekrönt, 2022 war er mit einem selbstverlegten Thriller für etliche Preise nominiert. Jetzt erscheint mit dem Kriminalroman "Das Haus in dem Gudelia stirbt" Knüwers Debüt in einem klassischen Buchverlag.
Konventionelle Krimis beginnen meist mit einer Leiche. Dann kommen Ermittler ins Spiel - gern knorrige Charismatiker oder sensible Seelen, Gourmets oder Alkoholiker. Am Ende wird ein Täter abgeführt. Katharsis. Punkt.
Bessere Krimis halten sich nicht an solche Konventionen, sondern erzählen von Menschen, von deren Leben und dessen Untiefen. "Das Haus in dem Gudelia stirbt" ist einer dieser besseren Krimis, sogar einer der besten der Saison.
Ein Geheimnis, das nach 40 Jahren aufzufliegen droht
Erzählt wird die Geschichte von Gudelia, 81, Putzfrau und Witwe. Vom Fenster ihres kleinen Siedlungshauses aus beobachtet Gudelia in der Nacht den Untergang ihres 500-Seelen-Dorfes Unterlingen. Nach einem Extremwetter - wie seinerzeit im Ahrtal - ist der liebliche Murbach zum Wildwasser geworden, das alles mitreißt: Bäume, Autos, Mastschweine aus dem Nachbarstall - und Menschen.
Wieder treibt etwas vorbei. Müll und Unrat. Was ist das? Ungewöhnlich hell und klein. Ragt kaum aus dem Wasser. Feingliedrig und dünn. Ich stutze. Sind das … Finger? Ich stehe auf, das Glas kippt um. Jesus Maria, das sind Hände! Fahle Haut im Taschenlampenlicht. Direkt dahinter noch zwei! Ich packe die Taschenlampe, lenke den Schein übers Wasser. Vier Hände hinter zwei Rücken. Zwei Körper. (…) Die Arme wirken unnatürlich verrenkt, die Hände liegen eng zusammen wie im Gebet. Schwarze Streifen schneiden in die Haut. Ich kneife die Augen zusammen, stütze mich auf die nasse Fensterbank. Kabelbinder! Jetzt erkenne ich es. Dünne schwarze Linien an den Handgelenken. Sie wurden gefesselt! Beide! Ich bekreuzige mich. Leseprobe
Außer Gudelia sind alle vor der Flut aus dem Dorf geflohen. Sie aber will ihr Haus nicht verlassen, um keinen Preis, denn sonst könnte auffliegen, was sie hier seit 40 Jahren verbirgt. Seit dem Sommer 1984, als ihr damals 15-jähriger Sohn Nico nachts nicht vom Dorffest heimkehrte. Sie fand ihn Stunden später tot im Straßengraben. Sein Schädel war zertrümmert: sein Schädel und ihr Leben. Gudelia kam darüber nie hinweg, genauso wie ihr Mann Heinz, der deswegen vollends dem Alkohol verfiel. Die Trümmerlandschaft nach der Flut heute - ein Spiegelbild ihres Lebens. Denn nach der Tat lud die gottesfürchtige Gudelia - damals, vor 40 Jahren - die Schuld auf sich.
Große Erzählkunst von Thomas Knüwer
Wie Thomas Knüwer Gudelia auf drei Zeitebenen - 1984, 1998 und heute, da die Fundamente ihres Lügengebäudes von der Flut unterspült werden - von ihrem Leben berichten lässt, ist große Erzählkunst. Mit viel Sinn für Suspense und angemessen zurückhaltender Sprache gibt er der alten Gudelia Stimme, Gesicht, Kontur. Man folgt ihr auf Schritt und Tritt, erfährt mehr und mehr, was in den vergangenen Jahrzehnten geschah - und teilt ihre Schuld, ohne dass Knüwer einen zu ihrer Verurteilung drängte. Nach diesem Verlagsdebüt hofft man auf mehr Knüwer, viel mehr.
Das Haus in dem Gudelia stirbt
- Seitenzahl:
- 290 Seiten
- Genre:
- Krimi
- Verlag:
- Pendragon
- Bestellnummer:
- 978-3-86532-882-3
- Preis:
- 20 €