Buchcover: Colm Tóibin - Long Island © Hanser
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AUDIO: Neue Bücher: "Long Island" von Colm Tóibín (5 Min)

Colm Tóibíns "Long Island": Wenn alte Gefühle wieder aufflammen

Stand: 17.05.2024 06:00 Uhr

Der irische Schriftsteller Colm Tóibin wird immer wieder dafür gelobt, wie gut und einfühlsam er Menschen beschreiben kann. Das ist ihm auch in "Long Island" wieder meisterlich gelungen.

von Maren Ahring

Der Roman "Long Island" knüpft an Tóibíns Roman "Brooklyn" an, der 2010 auf Deutsch herausgekommen war. Darin wird die junge Irin Eilis in den 1950er-Jahren zum Arbeiten nach New York geschickt. Sie lebt sich, geplagt von Heimweh, nur schwer ein, verliebt sich aber schließlich in Tony, den sie heimlich heiratet. Bei einem Besuch in der Heimat trifft sie Jim wieder - und steht vor einer schwierigen Entscheidung: Wird sie zu ihrem Ehemann nach Amerika zurückkehren oder bleibt sie an der Seite Jims in Irland? In "Long Island" setzt Tóibin die Geschichte fort.

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Rückkehr nach Irland

Fast 20 Jahre sind vergangen. Eilis lebt mit ihrem Mann in Long Island. Tony arbeitet als Klempner und Eilis als Buchhalterin in einer Autowerkstatt, die beiden haben ein Haus und zwei Kinder. Klingt nach der perfekten Familienidylle - aber der Schein trügt: Tony ist mit einer Frau fremdgegangen, die daraufhin von ihm schwanger geworden ist. Und deren Mann denkt nicht daran, ein fremdes Kind großzuziehen.

Auch Eilis möchte nichts mit dem Kind zu tun haben. Doch Tonys italienische Verwandtschaft sieht das anders: Schwiegermutter Francesca erklärt sich bereit, das Kind aufzunehmen. Obendrein bedrängt durch die Enge der italienischen Großfamilie, die Eilis auch nach vielen Jahren fremd ist, entschließt sie sich, nach Irland zu ihrer Mutter zu reisen, um Abstand zu gewinnen. Und plötzlich hängt die Ehe am seidenen Faden.

Sie wollte nicht, dass er auf sie zukäme oder sie in die Arme nähme. Als sich ihre Augen flüchtig begegneten, tauschten sie einen Blick, der voller Bedauern war und dann, auf seiner Seite, eine Beimengung von Angst enthielt. Sie war froh, als sie sich endlich ins Bett legten und beide das Licht löschten. Leseprobe

Tóibín schafft es, emotionale Nähe zu erzeugen

Die fehlenden Worte für Gefühle und Empfindungen, das Unausgesprochene, zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Und trotzdem schafft es Tóibín, emotionale Nähe zu erzeugen - zunächst vor allem zu Eilis. Und das, obwohl er vom zweiten Teil des Buchs an die Erzählperspektive ändert. Hat der Autor im Vorgängerroman "Brooklyn" ausschließlich Eilis‘ Sicht eingenommen, öffnet er in "Long Island" die Perspektive für andere Protagonisten. Da ist zunächst Nancy, eine alte Freundin von Eilis, deren Mann gestorben ist und die jetzt einen Fish-and-Chips-Shop betreibt. Außerdem hütet sie ein pikantes Geheimnis: Nancy hat nämlich eine Affäre mit Jim, der Jugendliebe von Eilis, dem ewigen Junggesellen. Auch aus dessen Perspektive erzählt Tóibin einige Kapitel. Verglichen mit dem Leseerlebnis von "Brooklyn" wirkt das in diesem Roman zunächst ungewohnt, fügt sich dann aber zu einem schlüssigen Bild zusammen. Denn es kommt - natürlich! - wie es kommen muss: Eilis und Jim treffen aufeinander.

Er wusste, es war wichtig, nicht danach zu fragen. Von einer Sekunde auf die andere, mit einem einzigen Satz, konnte sein Gefühl, dass ihr Mann abwesend war, wie eine Seifenblase zerplatzen. Außerdem konnte eine Frage nach ihrem Mann zu direkt wirken; er wollte nicht zu interessiert erscheinen. Leseprobe

Obwohl Jim früher von Eilis schwer enttäuscht wurde, flammen seine Gefühle für seine Jugendliebe wieder auf. Er findet sich zwischen zwei Frauen wieder und muss sich entscheiden.

Einfühlsame Figurenbeschreibungen

Zugegeben - die Handlung von "Long Island" ist nicht wirklich originell. Die Stärke des Buchs besteht in etwas anderem: Die Sprach- und Hilflosigkeit der Figuren wirkt realistisch und überzeugend. Jede und jeder ist auf der Suche nach Nähe, Zweisamkeit - und vielleicht auch Liebe. Und dass diese Sehnsucht leicht enttäuscht werden kann, liegt bei einer Dreiecksbeziehung wie der zwischen Nancy, Eilis und Jim irgendwie auf der Hand.

Tóibin wird immer wieder dafür gelobt, wie gut und einfühlsam er Menschen beschreiben kann. Das ist ihm auch in "Long Island" wieder meisterlich gelungen.

Long Island

von Colm Tóibín
Seitenzahl:
320 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Englischen von Ditte Bandini und Giovanni Bandini
Verlag:
Hanser
Bestellnummer:
978-3-446-27947-6
Preis:
26 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 17.05.2024 | 12:40 Uhr

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