NDR Buch des Monats Oktober: "Der Zauberer" von Colm Tóibín
Thomas Mann erhielt 1929 den Literaturnobelpreis für seinen Roman "Buddenbrooks". Gerade ist von Colm Tóibín ein Roman über sein Leben erschienen: "Der Zauberer" ist unser NDR Buch des Monats im Oktober.
Auch der große Thomas Mann war einmal klein und saß mit seinen drei Geschwistern auf dem Treppenabsatz. Von dort beobachtete er die feine Gesellschaft, die sich im elterlichen Salon versammelte - und seine Mutter Julia.
Sie schloss sich der Gesellschaft gleichsam widerstrebend an, wobei sie den Eindruck vermittelte, noch vor Augenblicken ganz allein mit sich an einem Ort geweilt zu haben, der interessanter war als das festliche Lübeck. Leseprobe
So beginnt Colm Tóibín seinen Roman und man ist als Leserschaft gleich mittendrin - in der schillernden Mann-Familie. Detailreich und farbig schildert Tóibín auf über 500 Seiten das Leben Thomas Manns von seiner Jugend bis ins hohe Alter.
Anders als in Lübeck, kennt in München niemand die Familie Mann
Das Buch beginnt und endet im hanseatischen Lübeck, wo die Familie stadtbekannt war, erklärt der Autor im Interview mit dem NDR Kulturjournal: "Jeder kannte ihn, er war einer der Manns, der zweitälteste Sohn des Senators und Lübeck war klein - tatsächlich kannten ihn alle. Als sein Vater starb, zog die Familie nach München. Dort sagte niemand, wirklich niemand - 'das ist einer der Manns'. Dieser Verlust, glaube ich, hat ihn angetrieben."
"Buddenbrooks" erscheint 1901, da ist Thomas Mann gerade einmal 26 Jahre alt. Die zweite Auflage des Buchs macht ihn bekannt. Zur feinen Münchner Gesellschaft findet er aber lange keinen Zugang, bis er schließlich doch zum Abendessen bei den Pringsheims eingeladen wird.
Thomas Mann kaschiert seine Homosexualität
Als Klaus sich ihm zuwandte, sah Thomas, wie schön er war. Er verstand fast, warum Klaus die Cafés nicht frequentierte. Er wäre augenblicklich aufgefallen und von allen angestarrt worden. Als ihm bewusst wurde, dass Katia ihn dabei beobachtet, wie er ihren Bruder mit Blicken verschlang, richtete Thomas seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sie. Leseprobe
Obwohl Thomas Mann Katia Pringsheim heiratet und Vater von sechs Kindern wird, kann er seine homosexuellen Neigungen nicht unterdrücken. Sie führen wie ein roter Faden durch den Roman: manchmal nur angedeutet, manchmal explizit.
Colm Tóibín beleuchtet Manns literarisches Schaffen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, erzählt vom Leben seiner exzentrischen Kinder und dem Wandel seiner politischen Einstellung.
In den USA tritt Thomas Mann für die Demokratie ein
1938 dann die Zäsur, die Thomas Mann selbst so formulierte: "Ich war nur auf eine Reise gegangen und plötzlich fand ich mich als Emigrant."
Die Familie siedelt in die USA über. Während des Zweiten Weltkriegs nimmt Thomas Mann dann Texte für die Radiosendung "Deutsche Hörer" der BBC auf.
"Ich glaube, dass er etwas sehr Echtes repräsentiert, wenn er als Künstler für die deutsche Demokratie eintritt; und dass er für den unabhängigen Geist stand und tatsächlich an die Freiheit glaubte", findet der Autor Colm Tóibín.
Tóibíns lesenswerter Roman zeigt Manns Zerrissenheit
Ganz am Ende des Romans kehrt Thomas Mann nach Lübeck zurück und besucht ein letztes Mal das Familienhaus. Ganz allein steht er davor, betrachtet die mit Brettern vernagelten Fenster und hängt seinen Erinnerungen nach - ein alter Mann vor einem zerstörten Haus - ein starkes Bild.
"Der Zauberer" ist sehr nah an Thomas Manns Biografie entlang erzählt. Dadurch wirkt das Buch manchmal etwas überfrachtet und der Erzählton gehetzt. Trotzdem ist der Roman absolut lesenswert - vor allem weil es Colm Toíbín gelingt, Thomas Mann in all seiner Zerrissenheit darzustellen - und ihn damit ein wenig nahbarer zu machen.
Der Zauberer
- Seitenzahl:
- 560 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27089-3
- Preis:
- 28,00 €