"Der Sohn des Friseurs": Berührende Vater-Sohn-Erzählung
Gerbrand Bakker hat sich in seinem Roman "Der Sohn des Friseurs" für einen leicht zu lesenden Tonfall entschieden. Der holländische Autor erzählt nicht alles. Im Kopf der Leserin treibt die Geschichte Blüten.
Kurz nachdem der Mann erfuhr, dass seine Frau schwanger ist, hat er sich frühmorgens aus dem Haus geschlichen. Als sein Name später auf der Passagierliste einer abgestürzten KLM-Maschine auftauchte, konnte seine Frau das nicht glauben. Was hätte er auf den Kanaren gewollt? Irgendwann hat sie sich damit abgefunden, sie musste sich um Simon kümmern, den kleinen Sohn. Simon hält sich an seinen Großvater. Von ihm übernimmt er später den Frisiersalon in Amsterdam, den eigentlich sein Vater hätte bekommen sollen.
Ab und zu nimmt Simon mal einen Mann mit nach Hause, aber all zu viel Nähe hält er nicht aus. Täglich vier Kunden, das reicht für seine Ansprüche. Hauptsache, die Espresso-Maschine funktioniert. Seine Mutter findet ihn furchtbar langweilig. Sie betreut in der Schwimmhalle eine Gruppe geistig behinderter Jugendlicher. Als ihre Kollegin ausfällt, muss Simon einspringen. Seine Ruhe ist dahin. Einer der Jugendlichen erinnert ihn an den gutaussehenden Alexander Popow, früher sein Schwimmidol. Im Wasser klammert der Junge sich an Simon fest. Obwohl ihm die Umarmung unangenehm ist, bekommt er eine Erektion. Viel zu lange muss er noch an den Jungen denken, in seiner Fantasie ist alles möglich.
In Wirklichkeit geht das nicht, weshalb er sich beim letzten Mal geweigert hat, dem Jungen die Badehose anzuziehen. Er kam sich sehr erwachsen vor, als er diese Entscheidung traf, doch die Wahrheit ist, dass er nicht für sich hätte garantieren können. Leseprobe
Existentielle Fragen gewürzt mit Sinn für Komik
Das beim Lesen unbehagliche Gefühl nimmt zu. Ein befreundeter Schriftsteller erklärt Simon, wie Spannung entsteht: eine Geschichte nie zu Ende erzählen, rechtzeitig abbrechen, den Rest offen lassen. Er weckt schließlich Simons Interesse an dem Flugzeugabsturz. Jahrzehnte hat er sich kaum für seinen Vater interessiert. Jetzt, mit Anfang 40, fragt er sich, warum eigentlich nie sterbliche Überreste begraben wurden.
Gerbrand Bakker hat sich für einen leicht zu lesenden Tonfall entschieden. Zwar berührt er existentielle Fragen - wie prägt ein unbekannter Vater das Leben eines Kindes? -, aber er hat auch Sinn für Komik, besonders im Frisiersalon. Neuerdings sind manche Kunden ganz versessen auf das Rasiermesser.
Sie glauben, beim Rasieren mit dem altmodischen Ding wäre das Erlebnis stärker, intensiver, echter. Rasieren ist Rasieren. Er selbst hat einen Elektrorasierer, trocken oder nass, das spielt keine Rolle. Leseprobe
Die Geschichte entsteht in den Köpfen der Leser
Ortswechsel. Ein Salon in La Laguna auf Teneriffa, betrieben von einem holländischen Friseur. Er lebt zufrieden hier - mit seiner Arbeit und mit seinen Hunden. Wenn er einen Nachfolger findet, kann er sich bald zur Ruhe setzen. Warum er damals so kopflos aufgebrochen ist, weiß er selbst nicht. Und noch weniger, warum er bei der Zwischenlandung den Flughafen verlassen hat, statt in die Maschine zurückzukehren.
Und dann kommt eine Holländerin in den Salon, die ihn erkennt - eine Freundin seiner Mutter. Gerbrand Bakker folgt dem Rezept des befreundeten Schriftstellers: Er erzählt nicht alles. Im Kopf der Leserin treibt die Geschichte Blüten.
Der Sohn des Friseurs
- Seitenzahl:
- 285 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43158-0
- Preis:
- 25 €