Bilder sprengen Grenzen
"Skandalkunst. Zensiert. Verboten. Geächtet" heißt ein gerade erschienener Bildband, in dem Éléa Baucheron und Diane Routex auf 175 Seiten Skandalkunst vorstellen. Eine gute Idee. Denn: Was macht ein Kunstwerke überhaupt zu "Skandalkunst"? Wer bestimmt, was warum als skandalös gilt? Und wie ist das heute, angesichts eines auf Sensationen gepolten Kunstmarktes? Muss ein Künstler, um ins Gespräch zu kommen, vielleicht sogar Skandale provozieren?
Venedig, 1573. Der Maler Paolo Veronese steht vor dem Inquisitionsgericht. Der Grund: seine jüngste Abendmahlsdarstellung. Viel zu weltlich erscheint sie den Kirchenvertretern. Sie fordern, der Maler solle das Bild ändern. "Wir nehmen als Maler das gleiche Recht in Anspruch, das auch Dichter und Narren haben", weigert sich Veronese. Er ändert lediglich den Bildtitel: Aus dem Abendmahl wird das Festmahl des Levi.
Der Band versammelt 70 Kunstwerke aus fast 600 Jahren, die einst aus unterschiedlichen Gründen für skandalös gehalten wurden. Gegliedert sind sie in die Kapitel religiöse und politische Kunst, sexuelle Skandale und künstlerische Grenzüberschreitungen.
Wann ist Kunst skandalös?
Was also machte - und macht - ein Kunstwerk skandalös? Die Autorinnen Éléa Baucheron und Diane Routex schreiben:
Dass ist sehr allgemein. Doch eine Definition von Skandalkunst fehlt in dem Buch ebenso, wie Maßstäbe, die den Skandal von der Provokation abgrenzen würden. Immerhin vermitteln viele der ausgewählten Werke eine Vorstellung von der subversiven Kraft der Kunst.
Deutlich wird: Bilder von Michelangelo, Caravaggio, Goya oder Courbet galten vor allem den Herrschenden als skandalös, denn diese Künstler sprengten mithilfe neuer Themen und Formen vorherrschende künstlerische Grenzen und gesellschaftliche Verhältnisse, stellten die Macht der Kirche, des Hofes, und der Bourgeoisie in Frage.
Kunstskandale in allen Epochen
Oder die Impressionisten. Ihre Bilder lösten Skandale aus, weil sie sämtlichen bisherigen Sehgewohnheiten widersprachen. 1876 schrieb der "Figaro" 1876 über eine Impressionisten-Ausstellung:
Ein ähnliches Vokabular nutzten später die deutschen Faschisten, um expressionistische Maler und politische Künstler wie Otto Dix oder George Grosz als "entartet" zu diffamieren - ihre Kunst zu skandalisieren.
Soweit überzeugt die Bildauswahl des Bandes, auch wenn die jeweiligen Begründungen leider oft sehr oberflächlich bleiben. Irritierend aber ist die Auswahl der aktuellen Beispiele: Die Aktion des Russen Oleg Kulik etwa, der sich von einem Hund bespringen lässt - ist das wirklich skandalös? Ist das nicht lediglich sensationsgeile Provokation, die morgen schon wieder vergessen sein wird?
Jetzt rächt sich, dass der Band auf eine klare Definition von "Skandalkunst" verzichtet. Und so wirken die Autorinnen am Ende fast überfordert, wenn sie über die aktuelle Entwicklung lediglich resigniert vermerken:
Skandalkunst
- Seitenzahl:
- 176 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Prestel
- Bestellnummer:
- 978-37913-48483
- Preis:
- 39,95 €