Sendedatum: 05.01.2014 17:40 Uhr

Bilder sprengen Grenzen

von Anette Schneider

"Skandalkunst. Zensiert. Verboten. Geächtet" heißt ein gerade erschienener Bildband, in dem Éléa Baucheron und Diane Routex auf 175 Seiten Skandalkunst vorstellen. Eine gute Idee. Denn: Was macht ein Kunstwerke überhaupt zu "Skandalkunst"? Wer bestimmt, was warum als skandalös gilt? Und wie ist das heute, angesichts eines auf Sensationen gepolten Kunstmarktes? Muss ein Künstler, um ins Gespräch zu kommen, vielleicht sogar Skandale provozieren?

Éléa Baucheron, Diane Routex - Skandalkunst (Cover) © Prestel Verlag
Überblick über Skandale der Kunstgeschichte vom Mittelalter bis heute.

Venedig, 1573. Der Maler Paolo Veronese steht vor dem Inquisitionsgericht. Der Grund: seine jüngste Abendmahlsdarstellung. Viel zu weltlich erscheint sie den Kirchenvertretern. Sie fordern, der Maler solle das Bild ändern. "Wir nehmen als Maler das gleiche Recht in Anspruch, das auch Dichter und Narren haben", weigert sich Veronese. Er ändert lediglich den Bildtitel: Aus dem Abendmahl wird das Festmahl des Levi.

Der Band versammelt 70 Kunstwerke aus fast 600 Jahren, die einst aus unterschiedlichen Gründen für skandalös gehalten wurden. Gegliedert sind sie in die Kapitel religiöse und politische Kunst, sexuelle Skandale und künstlerische Grenzüberschreitungen.

Wann ist Kunst skandalös?

Was also machte - und macht - ein Kunstwerk skandalös? Die Autorinnen Éléa Baucheron und Diane Routex schreiben:

Leseprobe

Reagierte man im Mittelalter empfindlich auf alles, was mit Religion zu tun hatte, und im 19. Jahrhundert auf politische Themen, was erregt dann heute die Gemüter unserer Zeitgenossen? Die heutige Moral missbilligt, insbesondere Verstöße gegen die Menschenwürde, die Ausbeutung der Schwächsten (Kinder und Tiere) und die Kommerzialisierung von Kunst.

Dass ist sehr allgemein. Doch eine Definition von Skandalkunst fehlt in dem Buch ebenso, wie Maßstäbe, die den Skandal von der Provokation abgrenzen würden. Immerhin vermitteln viele der ausgewählten Werke eine Vorstellung von der subversiven Kraft der Kunst.

Deutlich wird: Bilder von Michelangelo, Caravaggio, Goya oder Courbet galten vor allem den Herrschenden als skandalös, denn diese Künstler sprengten mithilfe neuer Themen und Formen vorherrschende künstlerische Grenzen und gesellschaftliche Verhältnisse, stellten die Macht der Kirche, des Hofes, und der Bourgeoisie in Frage.

Kunstskandale in allen Epochen

Oder die Impressionisten. Ihre Bilder lösten Skandale aus, weil sie sämtlichen bisherigen Sehgewohnheiten widersprachen. 1876 schrieb der "Figaro" 1876 über eine Impressionisten-Ausstellung:

Leseprobe

Fünf oder sechs Geistesgestörte geben sich ein Stelldichein, um ihre Werke auszustellen.

Ein ähnliches Vokabular nutzten später die deutschen Faschisten, um expressionistische Maler und politische Künstler wie Otto Dix oder George Grosz als "entartet" zu diffamieren - ihre Kunst zu skandalisieren.

Soweit überzeugt die Bildauswahl des Bandes, auch wenn die jeweiligen Begründungen leider oft sehr oberflächlich bleiben. Irritierend aber ist die Auswahl der aktuellen Beispiele: Die Aktion des Russen Oleg Kulik etwa, der sich von einem Hund bespringen lässt - ist das wirklich skandalös? Ist das nicht lediglich sensationsgeile Provokation, die morgen schon wieder vergessen sein wird?

Jetzt rächt sich, dass der Band auf eine klare Definition von "Skandalkunst" verzichtet. Und so wirken die Autorinnen am Ende fast überfordert, wenn sie über die aktuelle Entwicklung lediglich resigniert vermerken:

Leseprobe

Angesichts dieser neuen Dimension von Kunst kann man das Überangebot schockierender Werke und die unaufhörlichen - zuweilen sinnentleerten - Grenzüberschreitungen eigentlich nur noch zur Kenntnis nehmen.

Skandalkunst

von Éléa Baucheron, Diane Routex
Seitenzahl:
176 Seiten
Genre:
Bildband
Verlag:
Prestel
Bestellnummer:
978-37913-48483
Preis:
39,95 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 05.01.2014 | 17:40 Uhr

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