"Alle ungezählten Sterne": Was tun, wenn die Tage gezählt sind?
Was macht man, wenn man erfährt, dass man unter einer tödlichen Krankheit leidet? Heilung ausgeschlossen, die Tage gezählt. Damit sieht sich Benno Romik konfrontiert, die Hauptfigur in Mirko Bonnés neuen Roman "Alle ungezählten Sterne".
Benno Romik ist ein 70-jähriger ehemaliger Hamburger Brückenkommissar, ein echter Technokrat.
"Niemand gelangt zu einer Übereinkunft mit seinem Ende. Allen Widerständen in mir zum Trotz fängt mein Protokoll da an, wo ich aufhöre. Ich erstatte Bericht vom Ende eines kommissarischen Lebens." Leseprobe
Das erinnert in der Grundkonstruktion schon ein wenig an "Homo faber", den berühmten Roman von Max Frisch. Aber Mirko Bonnés Geschichte entwickelt sich zum Glück in eine ganz andere Richtung, denn Benno Romik nimmt eines Nachts eine verletzte, junge Frau bei sich auf. Hollie Magenta nennt sie sich und gehört zur Gruppe der "Zertrümmerfrauen", die in Hamburg Luxus-Autos abfackelt. Die zwei leben eine Zeitlang in einer Zweck-WG - die zornige, junge Frau und der ältere, todkranke Mann. Benno, ganz der Brückenkommissar, versucht eine Brücke zu Hollie zu bauen, versucht sie zu verstehen. Aber das ist nicht ganz leicht:
"'Wenn Sie morgen früher wach sind und loswollen, ziehen Sie einfach die Tür ins Schloss. Gute Nacht!'
'Echt rührend. No chance, Dreihundert. Die emotional challenge hab ich für mich verworfen. Hier geht es um Härte, also.'
Ich hatte eine junge Marsianerin zu Gast, nach einer Bruchlandung bei mir untergekrochen. (...) Sie war mir ein Rätsel, aber eines, vor dem ich Respekt hatte."
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"Alle ungezählten Sterne" von Mirko Bonné: Kein Buch übers Sterben
Benno Romik war einsam. Seine Ex-Frau ist gestorben und seine Tochter will nichts mehr von ihm wissen; nur die Beziehung zu seiner ehemaligen Sekretärin ist ihm geblieben. Auch deshalb lässt er sich wohl auf Hollie ein. Sie lenkt ihn von seiner Diagnose ab und bringt noch einmal frischen Wind in sein Leben.
"Ich war im Widerstand. Dass ich gegen das mir vorherbestimmte Sterben aufbegehrte, darin bestand mein eigentlicher Defekt." Leseprobe
Genau deshalb ist Mirko Bonnés Roman auch kein Buch übers Sterben, obwohl sich der Umgang mit der Krankheit wie ein roter Faden hindurchzieht. Auch Hollie verändert sich im Laufe der Handlung und sagt sich von den radikalen "Zertrümmerfrauen" los. Zusammen mit Benno vereitelt sie sogar einen großen Anschlag auf die Hamburger Stromversorgung.
Hamburg-Roman, der Brücken baut
Die Handlung schlägt Haken, springt in den zeitlichen Abläufen hin und her und endet schließlich in der Abgeschiedenheit Mecklenburgs. Trotzdem folgt man ihr gerne, auch wenn es manchmal nicht ganz schlüssig erscheint. Diesen minimalen Makel macht Mirko Bonné sprachlich wieder wett. Besonders gelungen: die Passagen über seine Wahlheimat Hamburg.
"Es gibt kein Wetter in Hamburg (...). Es ist der alte Schleier aus Malochen und Monotonie, die Dunstglocke von Duvenstedt bis Stillhorn, von Bergedorf bis Rissen. Mittendrin liegt der Hafen, zu dem Hunderte Brücken führen. Aber durch den Nebel aus Verdienenmüssen und Überlebenwollen führt nur eine einzige Brücke ins Freie, und die ist der Hafen selbst." Leseprobe
Und so ist "Alle ungezählten Sterne" auch ein Hamburg-Roman. Vor allem aber ist es ein sehr gegenwärtiges Buch - ein Buch, das versöhnen will. Und um die Metapher noch einmal zu bemühen: ein Buch, das Brücken bauen möchte zwischen jung und alt, etabliert und rebellisch, Vergangenheit und Zukunft. Ein Gesellschaftsroman im besten Sinne, der große Chancen hat, auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis zu landen.
Alle ungezählten Sterne
- Seitenzahl:
- 336 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Schöffling & Co.
- Bestellnummer:
- 978-3-89561-348-7
- Preis:
- 25 €