Familiennetze - Immer alles in Beziehung
Hat der Walfischknochen geheime Kräfte?
Den Schauplatz, die Nordseeinsel Beekensiel, hat Tanja Heitmann allerdings erfunden. "Ich hatte erst überlegt, weil ich einige von ihnen auch ganz gut kenne und sehr gerne mag, einen realen Schauplatz zu nehmen. Aber alle Inseln haben unheimlich viele Besucher, das ist natürlich ein Grund gewesen, aber auch die Lust, einfach eine Insel zu entwerfen. Auch ein bisschen das rauszuziehen, was ich bis jetzt an Insulanern kennengelernt habe, also Leute, die wirklich schon lange mit ihren Familien auf diesen Inseln sind. Und die haben doch so ein bisschen das, was man vom Beekensieler Charme kennenlernt, muss ich sagen."
Nach Beekensiel reist Greta Rosenboom mit ihrem Großvater Arjen - ein Geschenk, das sie ihm zum 85. Geburtstag gemacht hat: Zeit miteinander zu verbringen. Aber es wird auch ein Geschenk für Greta, denn auf der Insel seiner Kindheit erzählt der alte Mann seiner Enkelin Stück für Stück die eigene Familiengeschichte. 1939 lernte der Elfjährige den etwas älteren Ausreißer Ruben kennen und erlebte mit ihm einen unvergesslichen Sommer.
"Ruben riss den Stoff beiseite, und Arjen blinzelte ins Sonnenlicht, regelrecht geblendet, nachdem sie eine gefühlte Ewigkeit durchs abgedunkelte Haus geschlichen waren. Zwei Jungen auf der Suche nach einem Zeitvertreib an diesem flirrend heißen Sommertag." (Buchzitat)
Aber Arjens Vater, der strenge Inselpfarrer, hält genauso wenig von dem elternlosen Ruben wie der nationalsozialistische Ortsgruppenleiter, und so steht die Freundschaft unter einem ungünstigen Stern. Oder kann vielleicht der geheimnisvolle Walfischknochen, den Ruben einmal von seinem Vater geschenkt bekommen hat, noch eine Wende zum Guten herbeiführen?
"Der Vater erzählt ihm", erklärt Tanja Heitmann, "dieser Walfischknochen ist ein Relikt der Inuit, der bestimmt das Schicksal, wenn du seine Zeichen liest, kannst du dein Schicksal bestimmen. Und der Junge weiß, dass es eine Lüge ist, dass sein Vater sie erzählt, damit es ihm besser geht, damit er etwas hat, woran er sich festhalten kann. Und beide Jungs sagen, sie tun es bis heute, also sie glauben an diesen Walfischknochen. Und ich glaube, näher kann man der Frage nach dem Schicksal nicht kommen als die beiden in diesem Moment."
Die Frage nach dem Woher und dem Wohin
Die Frage nach dem Woher und dem Wohin treibt auch die junge Greta um. Gerade aus einer unglücklichen Beziehung entkommen, verliebt sie sich auf Beekensiel in den Fischer Mattes, der sie bei ihrer Suche nach den Spuren von Arjen und Ruben unterstützt.

Auch Tanja Heitmann hatte ihren Arjen, einen liebevollen hanseatischen Großvater, der sie stark geprägt hat. Und so enthält "Der Walfischknochen" auch Elemente ihrer eigenen Geschichte: "Es ist ein Buch der Familiengeschichten, könnte man sagen. Das was für mich auch den großen Reiz ausgemacht hat, diese sozialen, familiären Netze - wenn man erst mal anfängt, einen Faden aufzurollen, hat man eine Figur, man geht ihr nach und man landet bei immer mehr Familiengeschichten, es ist immer alles in Beziehung."
Ein Ort zum Träumen und Schreiben
Tanja Heitmann wurde in Hannover geboren und in der Region lebt sie auch heute noch.
Nach dem Studium der Politikwissenschaften und Germanistik arbeitete sie in einer Literaturagentur - bis sie das Schreiben für sich entdeckte. Ihre Fantasy-Romane, die es bis auf die Bestsellerlisten schafften, verkauften sich über 300.000-mal. "Das Geheimnis des Walfischknochens" ist ihre erste Familiensaga.
Heute ist sie viel auf Reisen, aber am Wochenende und in den Ferien zieht Tanja Heitmann sich am liebsten mit Ehemann und Sohn in ihr Häuschen an der Nordsee zurück. Eine weißgetünchte Reetdachkate mit Stockrosen davor, direkt am Deich gelegen, ideal zum Ausspannen und ideal, um ihre Ideen in Bücher umzusetzen.
- Teil 1: Von der Literaturagentin zur Schriftstellerin
- Teil 2: Hat der Walfischknochen geheime Kräfte?
