Vogel-Bildband "Observing Eye": Fremd und exakt zugleich
Die Bilder der finnischen Fotografin Sanna Kannisto wirken exakt und fremd zugleich. Der Bildband "Observing Eye" zeigt freilebende Vögel - fast ohne die sie umgebende Natur - vor weißem Hintergrund.
Periparus ater, Upupa epops, Bombycilla garrulus oder Prunella modularis - wohl nur die Fachkundigen unter uns wissen, was sich hinter diesen Bezeichnungen verbirgt. Es sind die wissenschaftlichen Namen von Meisen, Wiedehopfen, Seidenschwänzen und Sperlingen. Diese vertrauten Namen klingen auf lateinisch fremd, so exakt sie auch sind - und genau so wirken die Fotos von Sanna Kannisto: exakt und fremd zugleich.
Wie Stillleben wirken Sanna Kannistos Fotografien
Die finnische Künstlerin hat bekannte Vogelarten und Vögel aus fernen Ländern ohne ihre natürliche Umgebung fotografiert. Sie sitzen vor einem weißen Hintergrund. Das einzige Natürliche ist ein Ast oder ein Baumstumpf, an dem die Vögel sich festhalten. Die Fotos wirken wie Zeichnungen, wie ein Stillleben, zu dem ein Titel wie "Vogel an aufknospendem Zweig" passen könnte. Der Blick ist ganz auf das Tier gelenkt, der Zweig ist nur Beiwerk.
Nahezu wissenschaftliche Herangehensweise
Sanna Kannisto ist über viele Jahre ausgerüstet mit einem mobilen Fotostudio zu Vogelbeobachtungs-Stationen gereist. In dieses von weißen und schwarzen Stofftüchern begrenzte Studio inmitten der Natur wurden die Vögel für einen kurzen Moment gelockt. Später bei der Bildentwicklung hat Kannisto nachträglich oft das Weiß des Hintergrunds verstärkt. Das viele Weiß erzeugt eine kühle Atmosphäre, wie in einem wissenschaftlichen Labor. Wie in der Wissenschaft liegt der Fokus ganz auf dem zu untersuchenden Objekt - die Vögel in ihrer Artenvielfalt - und auf den Nuancen, durch die sie sich unterscheiden. "Mit meiner Arbeit beleuchte ich, wie wir uns der Natur nähern und mit ihr umgehen, in der Kunst genauso wie in der Wissenschaft", erklärt die Fotografin.
Kannisto lenkt die Aufmerksamkeit auf das Objekt
Das bunte Gefieder der Vögelchen und die vielen, unterschiedlichen Grüntöne machen die Bilder lebendig. Hier ragt ein Zweig mit bunter Knospe ins Bild, dort wickelt sich dichtes Moos um einen Baumstamm. "Wenn ich nur einen weißen Hintergrund habe, dann wird das Objekt irgendwie austauschbar. Es könnten dann genauso gut Reklame-Fotos sein", sagt die Fotografin. "Wenn ich Dinge aus der natürlichen Umgebung der Vögel hinzufüge, lenke ich den Fokus mehr auf den wissenschaftlichen Teil dieser Arbeit, der auch durch das Kuriose des Bildes zum Denken anregt." Fast komisch wird es, wenn mancher Zweig in einem Mini-Tannenbaumständer befestigt einem Vogel mehr schlecht als recht Halt bietet und das Geschehen am Bildrand von zwei schwarzen Bühnenvorhängen eingerahmt wird.
"Observing Eye": Klarheit und ein Sinn für Farben
Manches Foto in "Observing Eye" - so der Titel des Bildbandes - mutet japanisch an: Ein Kirschblütenzweig in der Bildmitte, an ihm ein altrosafarbenes Karmingimpel-Männchen, das den Zweig beinahe wie einen Schirm über sich hält. Oder ein Kohlmeisen-Paar an einem Ast voller Lindenblätter und kleiner Lindenfrüchtchen. Das Motiv könnte genauso gut eine Gobelinstickerei sein.
Klarheit, aber auch Sinn für Farbenspiel prägen Kannistos Fotografien: Eine Mischung aus abgelichtetem Kunstobjekt, Naturkatalog und wissenschaftlicher Arbeit. Auf knapp 80 Seiten zeigt sie ihr "Beobachtendes Auge", ihr "Observing Eye". Trotz der Akribie, mit der sie sich fotografisch den Tieren genähert hat, hat sie auch manch unverhofften Schnappschuss wegfliegender Vögel eingefangen. Ihre Aufnahmen sind beinahe eine Hommage an die Geschichte der Fotografie: Gestellt und wie unter einem dunklen Vorhang mit einer Camera obscura.
Observing Eye
- Seitenzahl:
- 144 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Text von Barbara Hofmann-Johnson, Gestaltung von Juha Nenonen, Englisch, 76 Abb., gebunden, 25,00 x 29,00 cm
- Verlag:
- Hatje Cantz
- Bestellnummer:
- 978-3-7757-4791-2
- Preis:
- 40,00 €