Theodor Fontane: "Frau Jenny Treibel"
In 25 Folgen der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um Theodor Fontanes "Frau Jenny Treibel".
Von Hanjo Kesting
"Der moderne Roman", hat Heinrich Mann gesagt, "wurde für Deutschland erfunden, verwirklicht, auch gleich vollendet von einem Preußen, Mitglied der französischen Kolonie, Theodor Fontane. Als erster hat er hier wahrgemacht, dass ein Roman das gültige, bleibende Dokument einer Gesellschaft, eines Zeitalters sein kann …" Für kein Buch Fontanes gilt das mehr als für "Frau Jenny Treibel". Mag der Eheroman "Effi Briest" auch populärer, das Spätwerk "Der Stechlin" artistisch raffinierter sein - sieht man in Fontane vor allem den Chronisten seiner Epoche, dann gipfelt seine Kunst in "Frau Jenny Treibel", einem Meisterwerk gesellschaftsanalytischer, gesellschaftskritischer Kunst.
Ein Buch gegen die Besitzbourgeoisie
Es ist ein Buch über das Bürgertum. Was in diesem Fall heißt: gegen das Bürgertum, gegen die Besitzbourgeoisie, die am Ende des 19. Jahrhunderts in Preußen zur ökonomisch bestimmenden Macht aufgestiegen war. Fontane stand dieser Klasse mit kritischer Distanz, ja unverhohlener Abneigung gegenüber. Er schrieb: "Zweck der Geschichte: das Hohle, Phrasenhafte, Hochmütige, Hartherzige des Bourgeoisstandpunkts zu zeigen, der von Schiller spricht und Geldsackgesinnung meint."
Der Widerspruch von Sein und Schein verkörpert sich am stärksten in der Titelheldin, der Kommerzienrätin Jenny Treibel, einer geborenen Bürstenbinder, die dank ihrem hübschen Gesicht aus kleinsten Verhältnissen aufgestiegen ist. Sie besitzt eine Vorliebe für hehre Sentenzen wie "Gold ist nur Chimäre", aber in Wirklichkeit fällt für sie nur ins Gewicht, was Zins trägt und Gewinn bringt. Fontane hat Jenny Treibel die hübsche und kluge Professorentochter Corinna Schmidt gegenübergestellt - er präsentiert das Berliner Bürgertum in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen: Besitz und Bildung. Jenny Treibel lädt Corinna zwar gern in ihr Haus, wenn es gilt, sich den Anschein des Kultivierten zu geben, aber sie setzt alles in Bewegung, um die in ihren Augen nicht standesgemäße Verbindung ihres Sohnes Leopold mit Corinna zu verhindern. So bleiben Besitz und Bildung streng getrennt. Corinnas Vater kommentiert es mit den Worten: "In eine Herzogsfamilie kann man allenfalls hineinkommen, in eine Bourgeoisfamilie nicht." Der Untertitel des Buches "Wie sich Herz zum Herzen find't" ist ironisch zu verstehen; er verweist auf die kulturelle Attitüde eines Bürgertums, das sentimentale Schwärmerei durchaus mit kühler Geschäftsmäßigkeit zu verbinden weiß.
Ein "Lustspiel über die Sprache"
Doch soll nicht der Eindruck erweckt werden, "Frau Jenny Treibel" sei so etwas wie ein sozialer Roman. Weit eher ist es ein bürgerliches Lustspiel. Auch ein "Lustspiel über die Sprache". Weite Teile des Buchs bestehen aus Dialog, Gespräch, Konversation. Die Figuren gewinnen vor allem durch die Sprache plastischen Umriss. Doch hat Fontane die Sprache nirgends stärker als in diesem Buch auch zur sozialen Charakterisierung eingesetzt. Es geht ihm um die falsche Sprache der Bourgeoisie, ihren verlogenen Bildungsbegriff, die Hohlheit der Kulturphrase.
"Frau Jenny Treibel" spielt um das Jahr 1885, in Fontanes aktueller Gegenwart, aber er veröffentlichte den Roman erst sieben Jahre später, nach der großen historischen Zäsur des Kaiserreichs: der Entlassung Bismarcks. Unter dem jungen Kaiser Wilhelm II. begann die Großmacht Deutschland von einer Weltmachtrolle zu träumen, und das deutsche Bürgertum, unfähig, die politische Macht zu gewinnen, suchte sein Heil bei den kaiserlichen Fahnen. Im Roman wird dieses Bürgertum von Jenny Treibels Ehemann repräsentiert, einem reichen Berlinerblau-Fabrikanten, der sich, vom Boom der Gründerjahre begünstigt, auf die Politik geworfen hat und als Kandidat der Nationalkonservativen auftritt. Seine Haltung ist kennzeichnend für die Selbstbeschränkung, ja Selbstverstümmelung des deutschen Bürgertums in der wilhelminischen Zeit. Fontane hat diese Entwicklung in "Frau Jenny Treibel" prophetisch vorweggenommen. Am Ende seines Lebens, als Preußen und Deutschland auf der Höhe ihres äußeren Glanzes standen, hat er für die Zukunft eine pessimistische Prognose gestellt: "Es wackelt das ganze alte Haus."