Ein Bildschirm mit der zur Auswahl stehenden Jugendwörter © NDR Foto: Nele Deutschmann
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AUDIO: Debatte um den Begriff "Talahon": Als Jugendwort geeignet? (6 Min)

"Talahon" in Endrunde fürs Jugendwort: Ein rassistischer Begriff?

Stand: 08.09.2024 19:45 Uhr

In den letzten zwei Jahren haben sich um den Begriff "Talahon" nicht nur ein Social-Media-Hype und ein Modetrend entwickelt, er stürmt auch mittels KI-generiertem Song die Single-Charts. Nun steht er in der Endauswahl um das Jugendwort des Jahres. Eine steile, aber durchaus fragwürdige Laufbahn.

von Alexandra Friedrich

Den Grundstein für die "Karriere" des Begriffs "Talahon" soll Hassan gelegt haben. Vor rund zwei Jahren veröffentlicht der Rapper den Song "Ta3al Lahon".

"Ta3al lahon, ich geb' dir ein'n Stich, bin der Patron
Ta3al lahon, du machst Marjalle, du sagst mir: 'Pardon'" Songzitat aus "Ta3al Lahon"

"Ta3al lahon" heißt hier "komm her" und ist eine Drohung. Komm her, wenn Du Dich traust. Im zugehörigen Video posieren er und ein paar vermummte Typen mit Waffen und Joints zwischen Plattenbauten. Es ist ein Spiel mit Gangsta-Rap-Klischees. Hassan betont, dass es sich nur um "darstellende Kunst" handele.

Spiel mit Klischees

Jugendliche mit Umhängetaschen sitzen auf einer Bank. Auf dem Gurt der Tasche des Jugendlichen rechts steht "Louis Vuitton". © Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Zum Klischee der sogenannten Talahons gehören Markenprodukte wie Gucci-Caps oder, wie hier, Louis-Vuitton-Bauchtaschen.

"Darstellende Kunst" könnte man auch nennen, was sich seit Monaten bei TikTok unter dem Hashtag "Talahon" abspielt: Halbstarke Großstädter inszenieren sich in Macho-Gangsterpose, filmen sich gegenseitig beim Schattenboxen oder Liegestütze machen vorm Hauptbahnhof in Bremen, am Jungfernstieg in Hamburg oder in der U-Bahn-Station in Hannover.

Das Ganze kommt meist komplett überzogen, selbstironisch daher. Die Protagonisten: oft migrantisch gelesene Jugendliche mit fein ausrasiertem Seitenscheitel. Das Kostüm: Gucci-Cap, Skinny Jeans und Louis-Vuitton-Bauchtasche. Der Soundtrack: Hassans Song "Ta3al Lahon".

Medien reduzieren auf Sexismus-Trend von Menschen mit Migrationsgeschichte

Zeitungen wie die Bild benennen es als "widerlichen TikTok-Trend". Die Bild schreibt: "Sie sind 14 bis 25 Jahre alt, meistens Migranten, oft mit deutschen Pässen - und sie haben ein Weltbild aus dem Mittelalter. Sie sind die 'Talahons'! Frauenfeindlich, sexistisch, patriarchisch und gewaltverherrlichend." Aus einzelnen Zitaten junger selbsternannter Talahons, die zum Beispiel finden, ihre Traumfrau gehöre an den Herd, wird "ein erschreckender Einblick in die jungen Migranten-Milieus" konstruiert.

Jutta Brennauer hat für die Organisation "Neue Deutsche Medienmacher*innen" die Berichterstattung über das Phänomen genauer unter die Lupe genommen: "Wir haben uns diese Zitate genauer angesehen und gemerkt, die stammen immer aus denselben zwei oder drei Videos. Die allermeisten Videos unter dem Hashtag 'Talahon' auf TikTok waren Videos, in denen migrantisch gelesene Jugendliche einfach nur zu dem Song 'Talahon' von Rapper Hassan performten und schattenboxten", erklärt Brennauer.

"Der Song ist gewaltverherrlichend - das auf jeden Fall. Aber viele Medien reduzieren diese ganzen Videos jetzt auf einen reinen Sexismus-Trend - und zwar einen Sexismus-Trend von Musliminnen und Menschen mit Migrationsgeschichte -, anstatt Sexismus als gesamtgesellschaftliches Problem zu thematisieren."

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Selbstinszenierung als Reaktion auf gesellschaftliche Missstände?

Auch der Hamburger Mediensoziologe Carsten Heinze plädiert für eine differenziertere Perspektive: "Diese Inszenierungsstrategien, die ich sehen konnte bei den sogenannten Talahons, sind etwas, was sie auch bei den sogenannten Biodeutschen finden. Ich denke, man muss viel mehr über gesellschaftliche Probleme sprechen, vor denen wir stehen. Dass Jugendliche und Jugendkulturen darauf reagieren und sich in welcher Form auch immer positionieren oder Reaktionsweisen darauf entwickeln, ist durchaus auch etwas Normales."

Dass Jugendliche sich selbst als Talahon inszenieren, sieht Carsten Heinze nicht als einen bewussten politischen Akt. Aber "diese positive Besetzung von solchen Merkmalen als Abgrenzung auch gegen eine Gesellschaft, die durchaus nicht mehr offen und positiv Migration gegenübersteht, sondern durchaus als auch kritische, diskriminierende und rassistische Diskurse kennt", sei altbekannt. Das lasse sich weiter in die Vergangenheit zurück zeichnen.

Selbstbezeichnung oder Label von außen?

Die Selbstinszenierung als Talahon: eine Antwort auf gesellschaftliche Missstände, auf soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung? Was zuerst da war, die Selbstbezeichnung oder das Label von außen, auf das die Jugendlichen reagieren, darüber wird kontrovers diskutiert. Klar ist, dass schon im vergangenen Jahr, bevor der große Talahon-TikTok-Hype losging, herabwürdigender Content über "Talahons" veröffentlicht wurde, etwa über die Plattform Twitch.

Arabisch und muslimisch gelesene Jugendliche und ihren Kleidungsstil abzuwerten mit dieser rassistisch und klassistisch gemeinten Bezeichnung: Darum sei es hier gegangen, erklärt Jutta Brennauer von den Neuen Deutschen Medienmacher*innen. "Das heißt, der Ursprung ist eine rassistische Fremdbezeichnung, die dann auf TikTok getrendet ist."

Medien, Kreative und Neue Rechte stürzen sich auf das Phänomen

Der Song "Verknallt in einen Talahon" schlägt in dieselbe Kerbe. Er hat es vor ein paar Wochen als erster KI-generierter Song in die deutschen Single-Charts geschafft. Künstliche Intelligenz ist nur für Instrumental und Stimme verantwortlich; der Text stammt aus der Feder von Josua Waghubinger alias Butterbro, der damit, so sagt er, frauenverachtendes Verhalten anprangern wolle, aber gleichzeitig rassistische und klassistische Stereotype reproduziert:

"Ich glaub, ich bin verknallt in einen Talahon
Mit Louis-Gürtel, Gucci-Cap und Air Max Schuh'n
Er macht Schattenboxen und ist der Coolste von seinen Bros
Und das Messer in der Tasche ist bestimmt nicht nur fürs Butterbrot" Songzitat aus "Verknallt in einen Talahon"

Nicht nur Medien und Kreative stürzen sich auf das Phänomen Talahon. Die Neue Rechte freut sich über einen neuen Kampfbegriff, ein neues Feindbild, mit dem sie ihre eigene Ideologie untermauern will. Rechtskonservative Kanäle fordern, alle Talahons abzuschieben, rechtsextreme Influencer unterlegen Sylter "Ausländer raus"-Videos mit Hassans Talahon-Song und die AfD ruft über Social Media dazu auf, für "Talahon" als Jugendwort des Jahres abzustimmen. Das Wort ist in der Top-3 Auswahl für das Jugendwort.

"Talahon": Kein geeignetes Jugendwort

Aus dieser Auswahl müsste man das Wort streichen, findet Silke Müller. Sie ist die erste Digitalbeauftragte Niedersachsens, schreibt Bücher über die Auswirkungen sozialer Netzwerke und ist Schulleiterin in Niedersachsen. Sie erlebt den Talahon-Hype sowohl im Netz als auch auf dem Schulhof: "Es ist in meinen Augen absolut kein geeignetes Jugendwort, weil es einfach ein ehrlicherweise demütigender und demokratiegefährdender Begriff sein könnte. Ich will das nicht überbewerten, aber das zum Jugendwort zu machen und damit noch mehr eine Gesellschaftsfähigkeit zu geben, halte ich für ganz fatal."

Jutta Brennauer ist der gleichen Meinung. Sie weiß um die Wirkmacht der Sprache: "Die Wörter, die wir wählen, mit denen wir Menschen bezeichnen, haben auch reale Konsequenzen." Die Nominierung und die potenzielle Wahl zu einem Jugendwort führe zu einem Narrativ, das verbreitet wird, über den gefährlichen muslimischen Mann. "Wir wissen, dass solche rechtsextremen Narrative am Ende auch zu realer Gewalt führen können", sagt Brennauer.

Eltern sollten deshalb proaktiv auf ihre Kinder zugehen und das Thema ansprechen, meint Silke Müller. "Auch wenn das bedeutet, dass man Kinder manchmal mit der Nase darauf stößt. Aber klar ist, wir werden Kinder nicht davon abhalten können, dass sie von bestimmten, weltweiten oder in dem Fall nationalweiten Trends und Challenges mitbekommen - entweder auf dem Schulhof, beim Sportverein oder wo auch immer. Dann besser das aufgeklärte Gespräch zuhause, um dran zu bleiben, einen Eindruck zu haben und die Kinder zu begleiten."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonntag | 08.09.2024 | 14:00 Uhr

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