"Street Art": David Zinns Kreaturen aus Kreide und Kohle
David Zinn hat jahrzehntelang als freischaffender Werbegrafiker gearbeitet. Eines Tages entdeckte er die Street Art für sich - und seitdem erweckt der Amerikaner auf den Straßen dreidimensionale Kreidefiguren scheinbar zum Leben.
Am Straßenrand, da steht eine kleine Maus. Sie hält ein Streichholz in die Höhe und unter dem Arm ein Buch. Sie hat ein blaues Kleid an, heißt Nadine und ist ziemlich abenteuerlustig. Sie ist eine grandiose Reiterin von prähistorischen Dinos, kann Frösche hypnotisieren, füttert bissige Unkrautbüschel-Fische - und gelegentlich macht sie in der Mähne eines Löwen ein Mittagsschläfchen.
Nadine, die Maus, ist eine von vielen liebenswerten Kreidefiguren aus dem Zeichenkosmos des Street-Art-Künstlers David Zinn. Täuschend echt krabbeln seine Wombats, Kaninchen und Maulwürfe aus von ihm gezeichneten Löchern in Wänden, Straßen und Baumstümpfen. Fantastisch, wie das kleine Schweinchen mit Engelsflügeln wenige Zentimeter über dem Boden zu schweben scheint.
Niedliche Viecher am Straßenrand
Im Idealfall stolpert jemand über eine meiner Bürgersteigkreationen, staunt und freut sich darüber, was er da sieht. Leseprobe
David Zinn, wohnhaft in Ann Arbor, Michigan, bezeichnet sich selbst als "professionellen Kritzler". Bei ihm werden Schrauben im Boden zu Augen, welke Blätter zu Flügeln, Gestrüpp zu üppigen Schnäuzern und Risse im Pflasterstein zu einem gequälten Katzengrinsen. Fast zu niedlich sind seine Viecherchen, wenn auch witzig. Auf Buchseiten gedruckt sieht man sich etwas zu schnell an ihnen satt. Allerdings lassen sie sich nur so konservieren. Denn Regen, Wind und Schnee lassen nicht nur Nadines Streichholz erlöschen - die ganze Kreidefigur wird ausgelöscht. Eine Tatsache, der David Zinn viel abgewinnen kann:
Auf der philosophischen Ebene erinnert diese Akzeptanz der Vergänglichkeit an die Sandkunst der tibetischen Mönche. Für mich persönlich ist das gelungenste Symbol der Vergänglichkeit unserer Existenz, wenn der Regen oder ein Kleinkind harte Arbeit zerstört. Leseprobe
Die unendlichen Möglichkeiten eines leeren Blattes
Es sind diese Texte, die genauso verblüffen wie die Kreaturen aus Kreide und Kohle. Die Leserin begleitet David Zinn beim Prozess des Künstlerwerdens und fühlt sich ertappt:
Statt mit Begeisterung die leeren Oberflächen um uns herum zu verschönern, fragen wir uns, ob die Zeichen, die wir hinterlassen, gut genug sind, um existieren zu dürfen. Die unendlichen Möglichkeiten, die in einem leeren Blatt Papier stecken, lähmen uns, statt uns zu inspirieren. Das Risiko, dass unsere Bemühungen zu nichts führen und wir nachher eine wunderbar leere Fläche umsonst ruiniert haben, ist uns einfach zu groß. Leseprobe
David Zinn nimmt das Risiko auf sich - okay, er kann auch wirklich gut kritzeln! Aber ein bisschen mehr Mut und Abenteuerlust mit Stift und Papier würde auch uns gut tun, oder? Da können wir von der kleinen Maus Nadine bestimmt noch etwas lernen.
Street Art
- Seitenzahl:
- 160 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Cornelius Hartz, Sandra Nettelbeck 184 farbige Abbildungen, 2 s/w Abbildungen
- Verlag:
- Prestel
- Bestellnummer:
- 978-3-7913-7951-7
- Preis:
- 18,00 €