"Sex ist für alle da": Simone Buchholz schreibt erotische Hörspiele
Simone Buchholz ist vor allem mit Krimis erfolgreich - hat aber auch keine Hemmungen, über Erotik und Sexualität zu schreiben. In der ARD Audiothek findet man die Hörspielreihe "10 Atemzüge" von ihr und anderen Autorinnen.
Frau Buchholz, als der Hessische Rundfunk anfragte, ob Sie ein erotisches Hörspiel schreiben wollen, wie haben Sie darüber nachgedacht?
Simone Buchholz: Ich habe kurz überlegt, ob ich mir damit meinen lange erarbeiteten Status als Suhrkamp-Autorin und ernstzunehmende Noir-Autorin mit einem Atemzug wieder zerhaue. Dann dachte ich aber: "Nee, ich bin jetzt in einem Alter - ich bin jetzt 51, und als wir das geschrieben haben, war ich 49 -, dass ich mir das jetzt wieder erlauben kann". Weil wenn Frauen über Erotik und Sexualität schreiben, ist das auch immer ein Akt der Befreiung und eine Art Aufstand, gerade wenn wir den weiblichen Blick in den Mittelpunkt stellen, was wir sehr kompromisslos gemacht haben.
Wie schreibt man niveauvoll, hörenswert über Erotik und Sexualität, ohne Floskeln, ohne Plattheiten?
Buchholz: So wie man alles erzählen sollte, was Menschsein und Menschlichkeit angeht: auf überraschende Art, ohne Plattitüden, ohne Klischees und sehr nah am Gefühl. Natürlich hat es im Hörspiel Auswirkungen, wie das produziert ist. Ich weiß noch, dass die Regisseurin Silke Hildebrandt am Anfang sagte: "Wir machen keine quietschenden Matratzen - wir machen raschelnde Bettwäsche. Und es wird nicht gestöhnt!" Schön ist, dass Victoria Trauttmansdorff sich in der Rolle, die ich geschrieben habe, quasi durch die Folgen stöhnt - was sie wahnsinnig gut macht, und es passt dann doch, es gehört doch dazu. Aber ich glaube, das ist der Trick: am Menschen bleiben, in unserem Fall an der Frau bleiben, auch die männlichen Nebenrollen ernst nehmen und es aus dem Begehren heraus erzählen, dass Sexualität einfach nur eine sehr intensive Form der Begegnung ist.
Was sollte aus weiblicher Perspektive unbedingt erwähnt werden, ohne jede Scheu und Scham? Und was wollten Sie vielleicht explizit vermeiden?
Buchholz: Ich fange mal mit dem Negativen an: Explizit vermeiden wollten wir jede Form von Stereotyp über weibliche Sexualität, jede Form von Sich-klein-Machen, Opfergeschichten.
Auch Unterwerfung?
Buchholz: Ja. Wobei: Meine Figur hat da manchmal Bock drauf. Sie ist aber die, die damit anfängt und sagt: Ich finde das interessant, ich würde das gerne lernen. Und die ist schon Ende 60, eine ältere Frau. Das war zum Beispiel etwas, was ich wichtig fand. Man hört nicht auf, ein sexuelles Wesen zu sein, nur weil man erwachsene Kinder hat oder in den Wechseljahren ist. Auch Männer hören nicht auf, sexuelle Wesen zu sein, nur weil vielleicht der Körper nicht mehr so auf Befehl funktioniert. Ich fand es sehr wichtig, eine vielfältige und doch der Figur angemessene, sehr persönliche Art von Begehren zu zeigen. Ich glaube, wichtig ist es, Klischees und Plattitüden zu vermeiden - aber das ist ja auch im alltäglichen Begehren und in der alltäglichen Sexualität so. Aufregend wird es da, wo es neu wird. So ist das immer im Erzählen.
Und wo es auch ein Tanz mit einem Partner wird, finde ich.
Buchholz: Genau. Sex, Erotik - ob das in einem Restaurant, an einem Tresen, in einer Straßenbahn oder auf der Matratze stattfindet - ist ein Tanz zwischen Menschen, mit Menschen, und man weiß nie so richtig, was als Nächstes kommt - das ist ja das Aufregende daran.
Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe vor Augen, wenn Sie schreiben?
Buchholz: Nö. Natürlich erwachsene Menschen, aber ich freue mich genauso über Zuschriften von 25-jährigen Männern wie über Zuschriften von 75-jährigen Frauen.
Was schreiben 25-jährige Männer?
Buchholz: Es gibt einen Freund einer Autorin, der noch keine 30 war. Der hat das gehört und ihr währenddessen Nachrichten geschickt. Sie hat die sofort an uns weitergeleitet. Das waren sehr fröhliche, frohe, lobende Nachrichten. Er schrieb so was wie: "Lachen, nachdenken, Ständer. Lachen, nachdenken, Ständer. Oh mein Gott, ich habe heute den ganzen Tag nicht gearbeitet - aber wie auch, mit einer Hand?" So was finde ich wahnsinnig toll, wenn ein junger Mann sich daran erfreut. Wir haben ja alle Altersgruppen drin, alle Arten von Liebe und Sexualität. Sex ist für alle da.
Zwei neue Sachbücher, die sich um Pornos drehen, bekommen gerade viel Beachtung. Madita Oeming und Paulita Pappel wollen ein Tabu brechen, Scham und Schweigen abstellen und Pornos zum Gesprächsgegenstand machen. Ist das aus Ihrer Sicht interessant?
Buchholz: Gesellschaftlich super interessant. Wenn wir uns mal das System anschauen, indem wir immer noch stecken - patriarchal, religiös und kapitalistisch strukturiert -, dann ist freie Sexualität von Frauen etwas, was da nicht reinpasst. Selbstbestimmte Sexualität von Frauen ist immer gefährlich für starre Systeme, die von Männern errichtet worden sind. Und wenn sich zwei junge Frauen dieses Themas bemächtigen und sagen: "Das packen wir jetzt mal auf den Tisch, da reden wir jetzt mal drüber, und zwar als Frauen - was finden wir aufregend, was finden wir abtörnend, was interessiert uns, was nicht?" -, dann ist das für mich gesellschaftlich gesehen ein Boss-Move, den ich super finde.
Mich selbst interessiert das Thema Pornos nicht, aber ich beobachte die gesellschaftliche Debatte darüber und die finde ich begrüßenswert, weil es so ein Ermächtigungsgesetz von Frauen ist. Die katholische Kirche findet es bestimmt nicht gut, männlich geprägte Strukturen finden es nicht gut, und im Kapitalismus bleibt nicht viel Zeit für freie Sexualität, da müssen alle möglichst viel arbeiten.
Bis auf den 25-Jährigen, der seine Arbeit vernachlässigt.
Buchholz: Der darf das aber auch noch, der ist ja noch so jung.
Das Interview führte Eva Schramm.