Wie prägt Pornografie das Sexualbild von Jugendlichen?
Pornografie ist im Internet leicht zu finden. Ist die reelle sexuelle Erfahrung nötig, um Pornos als fiktional einzuordnen? Ein Gespräch mit Kommunikationswissenschaftler und Sexualtherapeut Richard Lemke.
Pornokonsum im Internet ist eine Riesensache, die Abrufzahlen allein aus Deutschland gehen in die Millionen. Zugleich ist das Thema öffentlich weitgehend tabu - niemand gibt gern zu, selbst Pornos im Internet zu gucken.
Es gibt viele Hinweise für Jugendliche, wie leicht Pornovideos im Internet zu finden sind. Kinofilme sind häufig mit einer Altersgrenze versehen - also beispielsweise erst ab 18. Das ist im Netz nicht möglich. Sorgt eine Enttabuisierung des Themas, eine Darstellung als sei "das alles normal" dafür, dass der Jugendschutz vollkommen auf der Strecke bleibt?
Richard Lemke: Erfahrungsgemäß sind es gerade Tabuisierung und Verbot, die es interessant für Jugendliche machen. Das führt dazu, dass sich das ganze einem sexuellen Bildungsdiskurs entzieht. Die Medienwirkungsforschung zeigt in Bezug auf Pornografie relativ eindeutig, dass negative Nebenwirkungen massiv davon abhängig sind, für wie fiktional das Angebot gehalten wird. Je mehr Jugendlichen klar ist, dass das ein fiktionales Angebot ist, desto geringer sind unbewusste Medienwirkungen dabei. Das ist meines Erachtens der zentrale Ansatz von sexueller Bildung und sexuellem Diskurs mit Jugendlichen: Pornografie eben als eine Angebotsform zu besprechen und zu diskutieren. Sich der Funktion in der Gesellschaft klarzumachen.
Ist die reelle sexuelle Erfahrung, die Jugendliche mit 14 oft noch nicht haben, nötig, um das als fiktional einzuordnen?
Lemke: Alleine funktioniert das natürlich nicht. Da sehe ich die Aufgabe moderner Sexualaufklärung in Schulen oder auch in anderen Settings. Qualitative Studien zeigen, dass Jugendliche ohne eigene Erfahrung erst mal sexuelle Vorstellungen entwickeln, die auch von den Darstellungen in Pornografie geprägt sind: wie schnell eine Frau stimulierbar ist, wie schnell das geht - diese Vorstellungen werden tatsächlich erstmal angenommen. Aber diese Vorstellungen sind sehr brüchig, die werden durch eigene Erfahrung sehr schnell überschrieben. Das können Jugendliche oft auch sehr gut benennen. Natürlich merkt man, wenn man es selbst ausprobiert, dass das ganz anders ist. Und ich sehe darin tatsächlich eine Herausforderung, die entstehen kann und die eine Aufgabe an sexuelle Sozialisationsprozesse ist. Ich sehe das aber nicht so deterministisch, wie das oft diskutiert wird.
Vor zwei Wochen ist Madita Oemings Buch "Porno - eine unverschämte Analyse" erschienen. Sie geht das Thema als wissenschaftliches Sachbuch an und versucht, Scham und Schweigen darüber zu durchbrechen. Paulita Pappels Buch "Pornopositiv" möchte zeigen, dass Pornografie ein befreiendes Potential hat. Sind solche Buchbeiträge wie sie jetzt erscheinen, aus Ihrer Sicht eine Hilfe, das Thema einmal seriös anzusprechen?
Lemke: Auf jeden Fall. Wir wissen schon seit vielen Jahren, dass Pornokonsum eine durchgesetzte Sexualpraxis ist - vor allem seit es das Internet gibt. Auch wenn man in Partnerschaften ist, wenn man verschiedene Lebensphasen durchlebt. Pornokonsum ist für manche Menschen eine kleine Konstante geworden. Trotzdem wird ganz wenig darüber gesprochen. Es führt immer wieder zu großen Dynamiken, zum Beispiel in Partnerschaften. Vieles hat damit zu tun, dass wir nicht wissen, was die anderen machen, wie selbstverständlich Pornografie-Nutzung ist. Das Internet und Smartphones erlauben es uns jede noch so spezifische Fantasie ganz diskret für uns alleine anzuschauen. Da hilft es schon sehr, dieses Thema mal einem öffentlichen Diskurs zuzuführen.
Was ist für Sie, Herr Lemke, niveauvolle Darstellung von Erotik? Was ist für Sie platte Pornografie? Und wo liegt der Zwischenbereich?
Lemke: Pornografie zu definieren ist immer schwer. Es gibt diese berühmte Aussage: Ich kann es nicht definieren, aber ich erkenne es, wenn ich sehe. Da, wo es wirklich nur noch um Geschlechtsorgane in Nahaufnahme geht, da wird es für mich sehr plump. Ich finde nicht, dass es für niveauvolle erotische Pornografie immer Story braucht. Ich finde den Begriff der Lust da eigentlich sehr wichtig. Für mich beginnt Niveau da, wo ich Lust erkennen kann und wo Lust auf beiden Seiten spürbar ist. Oder zumindest so inszeniert ist, dass es eine Identifikation mit dieser Lust geben kann.
Das Interview führte Eva Schramm.