Madita Oeming will Pornos zum eigenen Genre machen
Aus den Lautsprechern von Madita Oemings Laptop kommt nicht zum persönlichen Vergnügen ein Stöhnen. Sie verfolgt damit ein wissenschaftliches Interesse. Sie analysiert Pornos. Die Idee dazu ist während ihres Studiums entstanden - bei einer Recherche zu Herman Melvilles "Moby Dick". Dabei seien ihr auch Pornos angezeigt worden, erzählt sie. Wahrscheinlich wegen des Wortspiels: "Dick" aus dem Englischen als Bezeichnung für "Penis". Ein Porno, in dem es auch um den Roman ging, lieferte schließlich den Anstoß: "Weil ich zum ersten Mal mit der anderen Gehirnhälfte, eben mit dem Gehirn und nicht mit dem Körper, Porno geguckt habe und so viele Fragen sich aufgetan haben. Ich habe zum ersten Mal verstanden: Ja, das ist ein Medium wie jedes andere", sagt Oeming.
Madita Oeming untersucht Pornos aus wissenschaftlicher Sicht
Berührungsängste hat die Göttingerin, Jahrgang 1986, keine, sagt sie. Wenn sie im beruflichen Kontext Pornos schaue, sei das ein anderer Modus. Dann behandelt sie Pornos wie Romane oder Hollywood-Filme. Ihre Familie und Freunde waren anfänglich etwas irritiert und mitunter auch belustigt von ihrem Forschungsfeld. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert: "Es wird einfach normalisiert. Es ist auch nicht so, dass wir Weihnachten zu Abend essen und die ganze Zeit über explizite Pornoinhalte sprechen. Da sind schon auch mal Grenzen, über die ich auch froh bin. Aber es ist nicht so ein Wort, wo alle sofort zusammenzucken."
Auch in Seminaren für Studierende in Fächern wie Kulturwissenschaften oder Soziologie spricht sie an verschiedenen Hochschulen über Pornos. Zum Beispiel darüber, welche Geschlechterrollen oder Körperbilder darin vorkommen. Die Pornofilme zeigt sie dabei selten in voller Länge.
"Ich darf masturbieren und Wissenschaftlerin sein"
Damit sich mehr Menschen mit dem Thema Pornografie auseinandersetzen, hat sie jetzt ein Buch darüber veröffentlicht: "Porno. Eine unverschämte Analyse". Darin schreibt sie auch über persönliche Erfahrungen. "Es ist sehr wichtig, nicht nur die distanzierte Wissenschaftlerin zu sein, die über die Menschen spricht, die Pornos gucken, sondern auch zu sagen: Ich gehöre auch dazu. Ich bin auch ein Mensch, ich habe auch ein Körper, und ich darf das auch. Ich darf masturbieren und Wissenschaftlerin sein. Das schließt sich nicht aus."
Ihre Arbeit polarisiert. Auf Social Media ist sie Hass-Kommentaren ausgesetzt. Für einen Lehrauftrag an der FU Berlin wurde sie zum Beispiel von der AfD-Politikerin Beatrix von Storch öffentlich stark angefeindet. "Das ist unglaublich anstrengend", so Oeming. "Ich könnte so viel schaffen, wenn ich nicht permanent diese Form von emotionaler Arbeit leisten müsste, diese ewige Rechtfertigung. Das finde ich sehr bedauerlich."
"Wir müssen den Porno mehr integrieren"
Frank Kelleter, Professor an der FU Berlin, schätzt Oeming. Sie sei eine von nur wenigen, die sich ernsthaft und historisch mit Pornografie auseinandersetze.
Durch ihr Buch oder ihre Seminare möchte Oeming dazu beitragen, dass Pornos kein Tabuthema mehr sind: "Wir müssen daran arbeiten, das wieder aufzulösen, den Porno mehr zu integrieren, zu normalisieren und einen bewussteren Umgang damit zu finden und dann auch zu fördern, sodass es eine bessere Industrie werden kann. Denn das kann sie nicht, wenn wir sie einfach totschweigen."
Pornografie sollte laut Madita Oeming als Alltagskultur anerkannt werden. Sie sieht es nicht als Sonderkategorie, sondern als Genre.