Madita Oeming will Pornos zum eigenen Genre machen

Stand: 31.08.2023 06:00 Uhr
Madita Oeming © Anna Peschke
Beitrag anhören 4 Min

von Theresa Möckel

Aus den Lautsprechern von Madita Oemings Laptop kommt nicht zum persönlichen Vergnügen ein Stöhnen. Sie verfolgt damit ein wissenschaftliches Interesse. Sie analysiert Pornos. Die Idee dazu ist während ihres Studiums entstanden - bei einer Recherche zu Herman Melvilles "Moby Dick". Dabei seien ihr auch Pornos angezeigt worden, erzählt sie. Wahrscheinlich wegen des Wortspiels: "Dick" aus dem Englischen als Bezeichnung für "Penis". Ein Porno, in dem es auch um den Roman ging, lieferte schließlich den Anstoß: "Weil ich zum ersten Mal mit der anderen Gehirnhälfte, eben mit dem Gehirn und nicht mit dem Körper, Porno geguckt habe und so viele Fragen sich aufgetan haben. Ich habe zum ersten Mal verstanden: Ja, das ist ein Medium wie jedes andere", sagt Oeming.

Madita Oeming untersucht Pornos aus wissenschaftlicher Sicht

Berührungsängste hat die Göttingerin, Jahrgang 1986, keine, sagt sie. Wenn sie im beruflichen Kontext Pornos schaue, sei das ein anderer Modus. Dann behandelt sie Pornos wie Romane oder Hollywood-Filme. Ihre Familie und Freunde waren anfänglich etwas irritiert und mitunter auch belustigt von ihrem Forschungsfeld. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert: "Es wird einfach normalisiert. Es ist auch nicht so, dass wir Weihnachten zu Abend essen und die ganze Zeit über explizite Pornoinhalte sprechen. Da sind schon auch mal Grenzen, über die ich auch froh bin. Aber es ist nicht so ein Wort, wo alle sofort zusammenzucken."

Auch in Seminaren für Studierende in Fächern wie Kulturwissenschaften oder Soziologie spricht sie an verschiedenen Hochschulen über Pornos. Zum Beispiel darüber, welche Geschlechterrollen oder Körperbilder darin vorkommen. Die Pornofilme zeigt sie dabei selten in voller Länge.

"Ich darf masturbieren und Wissenschaftlerin sein"

Buchcover "Porno" von Madita Oeming © Rowohlt Verlag
"Porno. Eine unverschämte Analyse" ist bei Rowohlt erschienen und kostet 20 Euro.

Damit sich mehr Menschen mit dem Thema Pornografie auseinandersetzen, hat sie jetzt ein Buch darüber veröffentlicht: "Porno. Eine unverschämte Analyse". Darin schreibt sie auch über persönliche Erfahrungen. "Es ist sehr wichtig, nicht nur die distanzierte Wissenschaftlerin zu sein, die über die Menschen spricht, die Pornos gucken, sondern auch zu sagen: Ich gehöre auch dazu. Ich bin auch ein Mensch, ich habe auch ein Körper, und ich darf das auch. Ich darf masturbieren und Wissenschaftlerin sein. Das schließt sich nicht aus."

Ihre Arbeit polarisiert. Auf Social Media ist sie Hass-Kommentaren ausgesetzt. Für einen Lehrauftrag an der FU Berlin wurde sie zum Beispiel von der AfD-Politikerin Beatrix von Storch öffentlich stark angefeindet. "Das ist unglaublich anstrengend", so Oeming. "Ich könnte so viel schaffen, wenn ich nicht permanent diese Form von emotionaler Arbeit leisten müsste, diese ewige Rechtfertigung. Das finde ich sehr bedauerlich."

"Wir müssen den Porno mehr integrieren"

Frank Kelleter, Professor an der FU Berlin, schätzt Oeming. Sie sei eine von nur wenigen, die sich ernsthaft und historisch mit Pornografie auseinandersetze.

Durch ihr Buch oder ihre Seminare möchte Oeming dazu beitragen, dass Pornos kein Tabuthema mehr sind: "Wir müssen daran arbeiten, das wieder aufzulösen, den Porno mehr zu integrieren, zu normalisieren und einen bewussteren Umgang damit zu finden und dann auch zu fördern, sodass es eine bessere Industrie werden kann. Denn das kann sie nicht, wenn wir sie einfach totschweigen."

Pornografie sollte laut Madita Oeming als Alltagskultur anerkannt werden. Sie sieht es nicht als Sonderkategorie, sondern als Genre.

Weitere Informationen
Buchcover "Porno" von Madita Oeming © Rowohlt Verlag
4 Min

Sachbücher holen Thema Pornografie aus dem Hinterzimmer

Über Pornografie wird häufig geschwiegen. Madita Oemings "Porno. Eine unverschämte Analyse" und Paulita Pappels "Pornopositiv" werfen Licht ins Dunkel. 4 Min

Simone Buchholz © picture alliance/dpa Foto: Christian Charisius

"Sex ist für alle da": Simone Buchholz schreibt erotische Hörspiele

Simone Buchholz ist vor allem mit Krimis erfolgreich - hat aber auch keine Hemmungen, über Erotik und Sexualität zu schreiben. mehr

Obwohl Kopf und Hände im Pranger gefangen sind, spricht Reporter Johannes Büchs tapfer in sein Mikrofon.
2 Min

Porno-Messe: Hochkultur auf der Venus

Die Berliner Porno-Messe - ein kulturelles Highlight im Herbst. extra 3 Kulturbeauftragter Johannes Büchs war vor Ort auf Tuchfühlung. Von Johannes Büchs und Julian Amershi. 2 Min

Schulleiterin Silke Müller im Gespräch. © Screenshot
2 Min

"Wir verlieren unsere Kinder": Gewalt und Pornos im Klassen-Chat

Silke Müller ist selbst Schulleiterin. Mit ihrem Buch möchte sie ein Bewusstein für den Umgang mit Sozialen Medien schaffen. 2 Min

NDR Mitarbeiter Felix Edeha mit ins Bild montierten Paragraphen-Zeichen © NDR
2 Min

Sexting: Vorsicht beim Verschicken von Nacktfotos im Netz

Nacktbilder von sich selbst zu versenden, ist meist erlaubt - Bilder anderer Leute in der Regel nicht! Reporter Felix Edeha weiß, worauf man noch achten sollte. 2 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 31.08.2023 | 09:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Sachbücher

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Bunte Urnen stehen im Regal © NDR.de Foto: Tabea Pander

Wandel der Bestattungskultur: Trauerarbeit darf bunt sein

Beerdigungen müssen nicht immer mit der Farbe Schwarz zusammengebracht werden. Patricia Hansen aus Jesteburg gestaltet Urnen und Särge mit viel Farbe. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?