Schriftstellerin Julia Franck über ihre Zeit als Stipendiatin in L.A.
Noch bis Ende August verbringt die Schriftstellerin Julia Franck ihre Zeit als Stipendiatin im Thomas-Mann-House in Los Angeles. Im Gespräch erklärt sie, warum sie als gestandene Autorin ein Stipendienprogramm braucht.
Frau Franck, Ihnen scheint es gut zu gehen, wenn sie mit einem fröhlichen Lächeln in den Tag in Los Angeles starten.
Julia Franck: Oh ja. Ich bin hier zur absoluten Frühaufsteherin geworden und beginne den Morgen meistens mit einem langen Spaziergang, wie es Thomas Mann einst getan haben soll. Das ist natürlich wichtig: Wenn man den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt, muss man sich zwischendurch einmal bewegen.
Wenn Sie sagen, Sie sind zur Frühaufsteherin geworden, stellen wir fest: Dieses Stipendium hat zumindest diesen Teil von Ihnen schon mal nachhaltig verändert, oder?
Franck: Ich muss gestehen, dass ich schon in den 20 Jahren, in denen ich mit meinen beiden Kindern, die inzwischen erwachsen geworden sind, zusammenlebte, Frühaufsteherin war und ich meinen Tagesrhythmus nach ihnen ausgerichtet habe. Aber in Berlin würde ich sonst eher gegen sieben, halb acht aufstehen. Hier stehe ich manchmal schon um fünf, halb sechs auf.
Was genau bedeutet dieses Stipendium für Sie als gestandene, erfolgreiche, bekannte Autorin?
Franck: Es hat verschiedene Vorteile und macht mir das Arbeiten überhaupt erst möglich, zumindest in dieser Phase des Romans. Ich brauche am Anfang von Romanen immer mehrere Monate, in denen ich mich so ungestört wie nur möglich auf diesen Roman, auf meine Figuren, auf die Stimme, die ich dort entwickele, konzentrieren kann. Das ist in Deutschland nicht so leicht möglich, alleine weil das Telefon klingelt, E-Mails reinkommen, Freunde, Verwandte ihre Ansprüche stellen. Und hier lebt man quasi wie auf einer Insel. Nicht ganz, weil es gibt ja Mitbewohner. Man wird im Alter jetzt plötzlich noch mal zur Hausgemeinschafts-Mitbewohnerin. Man teilt sich eine Küche und ist somit auch stark auf den Rhythmus der anderen Hausbewohner angewiesen. Insofern habe ich mir auch hier Tageszeiten, Schlafzeiten gesucht, die mit den anderen kompatibel sind.
Ich gönne Ihnen das alles von Herzen - aber brauchen Sie als so erfolgreiche Autorin überhaupt ein Stipendienprogramm?
Franck: Tatsächlich brauche ich das, ja. Was man nach außen vielleicht gar nicht erkennen kann: Es ist natürlich so, dass sich die Backlist auch sogenannter erfolgreicher Autoren, die international bekannt sind, nicht mehr verkauft. Es ist einfach so, dass es weltweit immer weniger literarische Leser gibt und ich nach zehn Jahren, in denen ich gut verdient habe und mir immerhin eine Wohnung kaufen konnte, keinerlei Rücklagen bilden konnte. Ich bin Selbständige, aber ohne Geschäft, ohne Firma. Ich bin in den letzten Jahren oft mit Jahreseinkommen von 16.000, 20.000, 25.000 Euro über die Runden gekommen. Das bedeutet: Ich habe in vielen Jahren viele Steuern bezahlt, profitiere jetzt aber von den Steuergeldern unserer so sozialen, so kulturfreundlichen Bundesrepublik, indem ich dieses Stipendium hier für vier Monate habe und mir vier Monate keinen Broterwerb nebenbei suchen muss.
Offensichtlich arbeiten Sie an etwas Neuem. Heißt das, dass wir bald wieder etwas Neues von Ihnen lesen dürfen?
Franck: Genau. Ich bin mitten in meinem neuen Roman. Das ist hier wirklich eine sehr schöne und gute Gelegenheit, daran zu arbeiten. Zumal mir das Thema des Romans, über den ich gar nicht viel und ausufernd sprechen möchte, hier im Alltag überall begegnet - in gewisser Weise anschaulicher als bei uns in Deutschland. Es gibt hier in dieser Siedlung, in der heute nur Millionäre und Milliardäre leben, Parallelwelten. Die eine Welt ist die derjenigen, die Millionen-Häuser und Fuhrparks besitzen, vom SUV über Oldtimer bis zum Rennwagen. Diese Menschen sieht man so gut wie nie auf der Straße. Wen man auf der Straße sieht, ist die Parallelwelt der Angestellten: der Handwerker, der Bauarbeiter, der Pflegekräfte, der Dogsitter, der Babysitter, der Putzkräfte, derjenigen, die die ältere Dame im Rollstuhl um das Haus, um den Block herumfahren. Diese Menschen sieht man auf der Straße, und sie leben auch mehr oder weniger den ganzen Tag über dort. Sie essen und schlafen mittags im Auto. Ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere von ihnen, so er keine feste Anstellung und keine offiziellen Papiere hat, zu den Menschen gehört, die ich morgens um sechs am Strand sehe, die dort in Scharen übernachten. Kalifornien, Amerika hat ein großes soziales Problem, was die Kluft zwischen Arm und Reich bedeutet. Es gibt unendlich viele Obdachlose hier.
Das Interview führte Keno Bergholz.