Monumentaler Bildband zeigt Raffaels überwältigendes Lebenswerk
720 Seiten dick, knapp sechs Kilo schwer und 150 Euro teuer: Der Bildband aus dem Taschen Verlag versammelt Raffaels sämtliche Werke und erklärt ihre Entstehungsgeschichte.
Mit Leonardo da Vinci hatte es angefangen: Der gut 700 Seiten starke Prachtband mit sämtlichen Gemälden und Zeichnungen des Renaissance-Genies wurde 2003 ein großer Erfolg für den Taschen Verlag. 2007 folgte ein ebenso grandioser und schwergewichtiger Band über Michelangelos vollständiges Werk. Auf den dritten Ausnahmekünstler im Bunde der Malergenies um 1500 musste das Publikum danach jedoch sehr lange warten - bis jetzt: Raffaello Sanzio, berühmt unter seinem Vornamen Raffael.
Große Abbildungen voller Details
Da steht er, ganz rechts außen am Rande der in Gruppen und Grüppchen diskutierenden Menschenmenge, und schaut uns an: Unauffällig sieht er aus, der 26-jährige Künstler mit dem dünnen Flaum um die Lippen und dem schulterlangen Haar, das er mit einer schlichten blauen Kappe bedeckt. Mehr zeigt Raffaello Sanzio da Urbino nicht von sich, andere Gestalten um ihn herum verdecken seinen Körper. Ohnehin stehen hier, in der "Schule von Athen", Geistesgrößen wie Platon und Aristoteles im Mittelpunkt, Sokrates und Diogenes und viele Gelehrte mehr. Aber so bescheiden sich das junge Malergenie fast hinter eine Säule drückt, so sanft und uneitel sein Blick aus dem Bild heraus uns Betrachter mustert, so selbstbewusst bleibt doch der Auftritt an sich: "Ich stehe hier, inmitten der größten Philosophen der Antike!"
Natürlich zeigt der Bildband das berühmte Wandgemälde in Gänze, sogar auf einer Doppelseite auf 66 mal 48 Zentimetern. Auf ausklappbaren Seiten lassen sich zudem Details aus der Nähe bestaunen, wie es vor Ort im Vatikan unmöglich wäre, ohne schweren Ärger mit der Aufsicht zu bekommen. Mehr noch: Auch eine Vorstudie Raffaels, Personenzeichnungen mit schwarzer Kreide und Kohle, lässt sich ausklappen und genauestens studieren: Falten der Gewänder, Licht und Schatten auf den Gesichtern der debattierenden Philosophen - fast spannender als dieselbe Szene im vollendeten Fresko.
Erläuternde Texte liefern eigene Interpretationen
Die vier Wandgemälde der vatikanischen Stanza della Segnatura formulieren in Michael Rohlmanns Deutung einen gewaltigen Anspruch: "Raffael belebt den imaginären Beraterstab des Papstes, den er im Papstzimmer gemalt versammelt hat. Er weitet das Zimmer in hohe Hallen und einen heiligen Platz, zu Felsenberg und Himmelsvision. Alle Wissenssuche, alle Inspiriertheit, alle Gotteskenntnis scheint vor unseren Augen am Hof von Julius II. vereint." Der Papst sitzt unter den größten Denkern und Dichtern, unter Apoll und den Musen, "damit er seine ideale Herrschaft entfalte, gerecht binde und löse und jedem das seine zuweise."
Auch auf dem Fresco "Parnass" meint Rohlmann, Raffael zu erkennen. Er sieht in der lorbeerbekränzten Person rechts hinter Vergil den jungen Maler, während andere, frühere Darstellungen hier den römischen Komödiendichter Statius identifiziert haben. Dieser Widerspruch bleibt unerwähnt, doch es zeigt sich, dass die Erläuterungen nicht nur den überkommenen Forschungsstand referieren, sondern auch eigene Interpretationen liefern.
Von frühen Madonnenbildern bis zu späten Werkstattprodukten
Das Frühwerk, die Fortentwicklung der Madonnenbilder, zeigt Raffaels Experimentierfreude: Vom brav auf Mamas Arm sitzenden Jesuskind zu dem sich streckenden, räkelnden, lesenden und die Mutterbrust fordernden Bengel sind nur ein paar Seiten umzublättern. Gemälde, die sonst in Berlin, St.Petersburg, London, Wien und Washington aufzusuchen wären.
Später, mit wachsendem Ruhm, plant der Künstler ganze Raumdekorationen, skizziert, entwirft und lässt dann Vieles von seinen Schülern und Mitarbeitern ausführen - sodass ein ganz neuer Werkbegriff entsteht: Neben eigenhändig "sua mano" Geschaffenem stehen die von Raffael erdachten Werkstattprodukte, bei denen die Kunstgeschichte bis heute an der Frage knabbert, welchen Anteil des Meisters Hand wohl daran hat.
Raffaels überwältigendes Lebenswerk
Die Fülle an beeindruckenden Bildern und Erkenntnissen, die dieser Band vermittelt, ist beinahe unfassbar. Um Raffaels über Museen, Paläste und Kirchen verteiltes Oeuvre zu sehen, bräuchte man ein ganzes Reiseleben. Zusammengefasst in einem solchen Schatz von Buch, wirkt die Schönheit des Lebenswerks dieses nur 37 Jahre alt gewordenen Musenlieblings überwältigend.
Raffael - Das Gesamtwerk
- Seitenzahl:
- 720 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Taschen
- Bestellnummer:
- 978-3-8365-5701-6
- Preis:
- 150 €