Buch-Cover: Press Graphics 1819-1921 © Taschen Verlag
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AUDIO: "Press Graphics 1819-1921": Das Goldene Zeitalter der Presseillustration (4 Min)

"Press Graphics 1819-1921": Das Goldene Zeitalter der Presseillustration

Stand: 06.08.2023 06:00 Uhr

Der neue Bildband "Press Graphics 1819-1921" aus dem Taschen Verlag präsentiert das ganze Spektrum der Pressegrafik: von dokumentarischen Zeichnungen über politische Cartoons und Humoresken bis zu Science-Fiction und Fantasy.

von Silke Lahmann-Lammert

In Zeitungen, Zeitschriften, im Internet: Überall begegnen uns Fotos. Sie bebildern Berichte und Reportagen oder dienen als "Eye-Catcher", um Click-Zahlen zu erhöhen. Vor 150 Jahren sah die Medienwelt noch ganz anders aus: Wer damals eine Illustrierte aufschlug, sah keine Fotos, sondern - wie der Name sagt - Illustrationen. Eine Kunstform, die besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert Blüten trieb. Diesem "Goldenen Zeitalter des Grafischen Journalismus" widmet der Taschen Verlag nun einen - im Wortsinn: gewichtigen - Prachtband. Mehr als vier Kilo bringt der Wälzer auf die Waage. Und er öffnet eine Tür in die Welt unserer Urgroßeltern.

Reißerische Bilder sorgten für hohe Auflagen

Am 15. November 1900 sorgt ein Unglück in der Nähe von Paris für Schlagzeilen: Zwei Kinder rollen Baumstämme auf die Schienen, ein Luxuszug entgleist. Die Zeitungen schicken ihre Zeichner zum Unfallort. Einer von ihnen illustriert für das Pariser Tageblatt "Le Petit Journal" eine ganze Seite mit der Zugkatastrophe: Das Bild zeigt den Moment, in dem der Speisewagen aus dem Gleis geschleudert wird. In einem grausigen Tohuwabohu stürzen Fahrgäste, Tische, Teller, Gläser und Bretter durch die geborstene Wagonwand ins Freie. In den Gesichtern der Passagiere spiegelt sich blankes Entsetzen.

Eine Szene, die an Dramatik kaum zu überbieten ist. Aber entspricht sie auch der Wahrheit? Dass der Zeichner das Unglück selbst beobachtet hat, ist unwahrscheinlich. Wohl eher schmückte er mit viel Fantasie aus, was Augenzeugen ihm berichteten - eine gängige Praxis unter grafischen Reportern. Egal, ob beim Hochbahnunglück in New York, bei der Explosion eines belgischen Fesselballons oder beim Sprung eines Sterbewilligen vom Arc de Triomphe: Mit reißerischen Bildern versuchten sie, die Auflagen ihrer Zeitungen zu erhöhen.

Seriöse "Specials" setzten auf Authentizität

Andere Zeichnerinnen und Zeichner verabscheuten solche Übertreibungen. Zu ihrem Berufsethos gehörte, nur wiederzugeben, was sie mit eigenen Augen gesehen hatten: das Elend in den Londoner Armenhäusern, die Fließbandarbeit in den Schlachthöfen Chicagos, das sinnlose Sterben in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs.

Die grafischen Reporter wurden "Special Artists" oder kurz "Specials" genannt. Zu ihren Sonderaufgaben zählte nicht nur die grafische Berichterstattung vor Ort, sondern auch die journalistische Recherche.

Manche "Specials", ergänzt Buchautor Alexander Roob, avancierten zu Medienstars...

… die es verstanden, sich abenteuerlich in Szene zu setzen. (...) Auch mit Reisebüchern, Autobiographien und Vortragsveranstaltungen.

Die Geschichte der Zensur

Die Geschichte der Pressegrafik ist auch eine Geschichte der Zensur. Unter Napoleon III. durften Satirezeichner ihre Karikaturen nur veröffentlichen, wenn die verspottete Person sich einverstanden erklärte. Der Pariser Künstler André Gill kommentierte den Erlass, indem er seinen eigenen Kopf auf einem Silbertablett darstellte, versehen mit einem Zettel, auf dem er die Verwendung des Bildes untersagte. Gleichwohl erschien das Porträt 1867 als Titelbild der Satirezeitschrift "La Lune".

"Press Graphics": Spannend, fundiert und liebevoll gestaltet

Der neue Bildband präsentiert das ganze Spektrum der Pressegrafik: von dokumentarischen Zeichnungen über politische Cartoons und Humoresken bis zu Science-Fiction und Fantasy. Die "Special Artists" deckten Missstände auf, verspotteten unfähige Monarchen und entlarvten korrupte Politiker. Pressezeichner verbreiteten aber auch Stereotypen über Menschen auf anderen Kontinenten und bereiteten damit den Boden für Verbrechen der Kolonialmächte an der indigenen Bevölkerung.

"Press Graphics - The Golden Age of Graphic Journalism" ist ein Prachtband über ein vergessenes Kapitel der Pressegeschichte: spannend, fundiert und liebevoll gestaltet. Ein Buch wie eine Kiste Juwelen, die man auf dem Dachboden findet - und nicht versteht, warum ein solcher Schatz so lange übersehen wurde.

Press Graphics 1819-1921

von Alexander Roob
Seitenzahl:
604 Seiten
Genre:
Bildband
Verlag:
Taschen
Bestellnummer:
978-3-8365-0786-8
Preis:
60 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 06.08.2023 | 16:20 Uhr

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