Kann man von der Schriftstellerei leben? Ja, aber ...
Carl Spitzwegs Gemälde vom armen Poeten von 1839 hat unseren Blick auf Schriftstellerinnen und Schriftsteller bis heute geprägt. Wie steht es aktuell um die "brotlose" Kunst?
Sein Reich ist eine Halle. Bis unter die Decke gefüllt mit Paletten. Lässig lehnt Dinçer Güçyeter im Blaumann an seinem gelben Gefährten aus Metall.
lieber gabelstapler
(ein liebesbrief)
du hast mir die sicherheit gegeben, unabhängig meine literatur zu formen.
Instagram-Zitat von Dinçer Güçyeter
So zeigt sich der Autor aus Nordrhein-Westfalen im April auf Instagram, kurz bevor er den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse für seinen ersten Roman "Unser Deutschlandmärchen" abräumt.
dank dir hab ich in letzten vier jahren ohne existenzangst am schreibtisch gearbeitet. alle texte haben mit dir den gleichen staub dieser halle geschluckt.
ich liebe dich, kerl, ich liebe, mit dir zu träumen
Von Vollzeit zu Teilzeit: Brotjob finanziert Güçyeters Lyrik-Verlag
Mit Anfang 30 hängt Güçyeter seinen Beruf als Werkzeugmacher an den Nagel, um Lyriker zu werden. Bis vor Kurzem und insgesamt mehr als zehn Jahre lang finanziert er seinen Lyrik-Verlag ELIF als Gabelstaplerfahrer in Teilzeit. Da ist kein Frust. Der Brotjob inspiriert ihn auch zu Gedichten.
Viele Autorinnen und Autoren haben ein zweites Standbein. Bei einigen folgte ein Durchbruch und mit ihm der Fokus auf die Literatur: Judith Hermann war vor ihrem Debüt "Sommerhaus, später" Kellnerin im Prenzlauer Berg in Berlin. Karen Duve ist 16 Jahre lang in Hamburg Taxi gefahren, bevor ihr "Regenroman" sie 1999 bekannt gemacht hat. Auch Duve fiktionalisiert Jahre später den damaligen Job im Roman "Taxi":
Und dann waren fünf Jahre um, und ich fuhr immer noch Taxi. Zur Reeperbahn. Zum Flughafen. Zum Mittelweg. Textzeilen aus "Regenroman" von Karen Duve
Durchschnittsverdienst in der Buchbranche: 1.400 Euro brutto im Monat
Nach der letzten Erhebung von ver.di - vor der Corona-Pandemie, wohlbemerkt - arbeiteten in Deutschland rund 75.000 Autorinnen und Autoren, die hauptsächlich von Literatur leben. Im Durchschnitt verdiente jede oder jeder von ihnen monatlich rund 1.400 Euro brutto.
"Ich finde, dass der allergrößte Teil der Künstlerinnen und Künstler nicht oder nicht gut oder nur sehr bescheiden davon leben kann. Das ist ein Skandal", sagt die Hamburgerin Isabel Bogdan. "Das hat nichts damit zu tun, dass die keine gute Arbeit machen würden."
Kurt Wolff Stiftung schlüsselt Verdienst auf
Bogdan ist Übersetzerin und Autorin. 2016 wurde ihr erster Roman "Der Pfau" ein Bestseller, bis 2021 verkaufte sich das Buch rund 100.000 Mal, in diesem Jahr kam die Geschichte sogar als Film in die Kinos. Inzwischen kann Bogdan vom Schreiben leben: "Dass ich diesen unfassbaren Riesenerfolg habe, heißt: Ich habe in den vergangenen sechs Jahren so viel verdient wie ein Lehrer. Das weiß ich, weil ich mit einem verheiratet bin. Das kann mit dem nächsten Buch schon wieder vorbei sein."
Kürzlich hat die Kurt Wolff Stiftung ein Rechenbeispiel geliefert zur Frage: Wer bekommt was vom Buch? Bringt ein unabhängiger Verlag ein Buch heraus, das im Laden 24 Euro kostet, mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren, dann erhält der Schriftsteller 2,24 Euro pro Exemplar. Reich macht das nicht. "Es gibt Leute, die denken, ich hätte jetzt irgendwie ausgesorgt. Davon ist das weit entfernt," meint Bogdan.
Stipendien helfen Autorinnen und Autoren
Lyrikerinnen und Lyriker haben es noch schwerer. Gedichte verkaufen sich bekanntlich schlecht. Einer der wenigen, die davon trotzdem leben können, ist der Büchner-Preisträger Jan Wagner. Er ist breit aufgestellt: er schreibt, übersetzt und gibt Lyrik heraus.
Die Arbeit an seinem neuen Gedichtband hat der Deutsche Literaturfonds gefördert. Solche Stipendien findet Wagner nicht nur finanziell wichtig: "Gerade wenn man anfängt zu schreiben, ist man froh, wenn irgendwo kluge Menschen und Leser in der richtigen Position sagen: Was du machst, ist gut. Wir unterstützen dich mit Geld, mit einer Wohnung, damit du weiterschreiben kannst. Das ist eine Befreiung von den Existenzängsten, die man sonst ausstehen müsste. Das ist ungeheuer wichtig als finanzielle Zuwendung, aber auch als Ermunterung weiterzumachen, weiterzufeilen und weiter an sich zu arbeiten."
Unsichere Zukunftschancen
Zwischen Brotjobs, prekärem Verdienst und Stipendienjagd geben immer wieder Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf, sagt die Hamburger Autorin Bogdan. Da helfe nur schwarzer Humor: "Das macht mir totale Sorgen. Es hat dummerweise den perversen Nebeneffekt, dass eigentlich alle, die im Literaturbetrieb arbeiten, das aus Leidenschaft tun - was diesen ganzen Betrieb wieder wahnsinnig sympathisch macht." Ihrem Lachen am Ende dieses Satzes folgt ernst: "Aber das ist halt keine Lösung."
