"Jeder schreibt für sich allein": Herzensprojekt von Anatol Regnier
Seit Donnerstag läuft die Dokumentation "Jeder schreibt für sich allein" im Kino. Es geht um deutsche Autoren, die unter der Nazi-Herrschaft in der Heimat blieben und sich irgendwie arrangierten. Basis für die Doku ist das gleichnamige Buch von Anatol Regnier.
Der neue Film über sein Buch ist für Sänger, Gitarrist und Schriftsteller Anatol Regnier ein Herzensprojekt. Ein Jahr hat er für das Sachbuch "Jeder schreibt für sich allein" in zahlreichen Archiven recherchiert. Dass sein Freund, der Regisseur Dominik Graf, daraus nun eine knapp dreistündige Dokumentation entwickelt hat, ist für den 78-Jährigen eine Bestätigung des wichtigen Themas. Die Grundfrage: warum manche Künstler ab 1933 nicht ins Exil gingen, sondern in Deutschland blieben - und wie sie sich unter NS-Herrschaft verhielten. "Die mussten sich positionieren", sagt er. "Es ging nicht, ganz neutral zu sein. Es ging nicht, abseits des offiziellen Betriebs zu schreiben, wenn man publizieren wollte."
In der Nazi-Zeit kam künsterische Freiheit unter die Räder
Das große Interesse an Literaten, liegt bei Anatol Regnier nahe. Sein Großvater war der Dramatiker Frank Wedekind. Seine Mutter, Pamela Wedekind, eine Schauspielerin und Sängerin. Der Vater, Charles Regnier, war ebenfalls Mime, Theaterregisseur und Hörspielsprecher. Beide Eltern arbeiteten auch als Übersetzer. Künstlerische Freiheit - für die Familie ein hohes Gut. Im Nationalsozialismus sei diese Freiheit unter die Räder gekommen, seufzt Regnier. "Ein regimekritisches Buch, wie Anna Seghers 'Das siebte Kreuz', wäre natürlich nicht möglich gewesen. Wer hätte das veröffentlicht? Oder Brechts Aufstieg des Dritten Reichs? Das war natürlich nicht möglich."
Denn während Anna Seghers eine Flucht von Häftlingen aus einem Konzentrationslager schildert, beschreibt Bertolt Brecht in seinem Theaterstück "Furcht und Elend des Dritten Reiches" den Alltag im Nationalsozialismus. Beide Werke entstanden im Exil.
Regnier wächst nach dem Zweiten Weltkrieg auf
Regnier selbst wächst nach dem Krieg auf, studiert Gitarre beim australischen Meister John Williams am Royal College of Music in London. Er tourt als Musiker durch die Welt, nimmt auch als Sänger CDs auf und verfasst mehrere Bücher. Zuletzt "Jeder schreibt für sich allein" - ein Verweis auf Hans Falladas berühmen Klassiker "Jeder stirbt für sich allein" über Widerstand im Regime und Verantwortung im Faschismus. Ein Thema, das nicht nur Schriftsteller, sondern alle Menschen damals betroffen habe, so Regnier.
"Als die Wucht der Verbrechen offenbar wurde, hat jeder versucht, ihr zu entgehen, bis in meine Generation hinein. Ich auch, indem ich nach Israel gefahren bin, um der Schuld zu entgehen." Leseprobe aus "Wir Nachgeborenen" von Anatol Regnier
... erzählt der 1945 Geborene, der sich auch in dem Buch "Wir Nachgeborenen" mit dem Komplex beschäftigt hat. Das wichtigste Fazit seiner Recherchen zum Verhalten von Geistesgrößen während der NS-Diktatur. "Gerade Intellektuelle, die nicht rechts oder rechtsextrem oder militaristisch waren, das waren Intellektuelle, die von der Wucht dieser Nazi-Bewegung überrollt wurden. 1933 hat viele Intellektuelle überwältigt", erklärt der Wahl-Münchner, der auch Mitglied im PEN-Zentrum ist. Dass nach seinem Buch nun ein Kino-Film anhand verschiedener Beispiele, wie Gottfried Benn, Erich Kästner oder Hans Fallada einem breiteren Publikum mehr über diese Zeit erzählt, freut Anatol Regnier. Denn die Kraft künstlerischer Stimmen sei nicht zu unterschätzen, vor allem wenn sie kritisch sind.