Der Künstler Hans-Christian Schink vor mecklenburgischem Panorama

Hans-Christian Schink zeigt die Poesie des Hinterlands

Stand: 02.07.2021 11:40 Uhr

Balliner Holz, Kleisthöhe, Schwarzensee - das klingt weltentrückt und romantisch. Es sind Orte, die der Fotograf Hans-Christian Schink mit seiner Kamera erforscht hat. "Hinterland" heißt das Fotoprojekt, nun ist es als Bildband erschienen.

von Lenore Lötsch

Achtmal schnelles Umblättern, achtmal triste, farblose Landschaften, achtmal ist man sicher, da kommt auch auf der nächsten Seite nichts anderes als trostlose, depressive, schwarz-weiße Schneefelder und -wege. Und dann: Rote vergessene Äpfel an einem Baum, der hinauszuwachsen scheint aus dem mit Maschendraht umzäunten Garten, in den er vor Jahrzehnten gepflanzt wurde. Ausgerechnet in Grauenhagen aufgenommen, erzählt das Ortsverzeichnis am Ende des Bildbands. Plötzlich hat das Auge Halt und Hoffnung. In die grauen, eingefrorenen, menschenleeren Szenen kommt die Andeutung von Farbe: Plötzlich sieht das Fell der Schafe doch ein wenig bräunlich aus und das Gras, das der Schnee nicht vollständig bedecken kann, behauptet einen ocker-gelben Herbsthauch.

Hans-Christian Schink zeigt das Raue und Karge

Zugegeben: Kein Mensch würde da stehen bleiben, wo Hans-Christian Schink zwischen Dezember 2012 und März 2019 seine hochauflösende Mittelformatkamera aufgebaut hat. Die zerfahrenen Felder, die mit Planen bedeckten Kohlrübenberge, die Ställe mit den Wellblechdächern und die Plattenwege, die plötzlich auf einem Hügel enden, hat man vielleicht beim Vorbeifahren aus dem Zugabteil schon einmal gesehen. Schink aber rückt genau das in den Fokus, was sonst unbemerkt an einem vorbeizieht - und er inszeniert es.

Da wird der Kohlrübenberg zur sepiafarbenen Grafik: Den unteren Bildrand begrenzt die Treckerspur, die aus einzelnen, nach links weisenden Pfeilen zusammengesetzt ist. Ein Haufen Rüben ist vom großen Berg heruntergekullert. Und die weiße Abdeckplane bildet darüber ein Faltengebirge, einen Gletscher, den der Wind an einigen Stellen aufplustert. Der Fotograf zeigt das Raue und Karge. Und doch entdeckt der Betrachter nach und nach auch die Poesie.

"Ein breiteres Spektrum an Stimmungen"

Seinen Durchbruch feierte Hans-Christian Schink mit einer Reihe über die Verkehrsprojekte der Deutschen Einheit. Von 1995 bis 2003 dokumentierte er den gewaltigen Wandel in der Landschaft durch den Ausbau von Autobahnen und Bahntrassen in Ostdeutschland. "Bei 'Hinterland' geht's mir darum, mich stärker einzulassen und weniger mit einer kritischen Haltung auf bestimmte Entwicklungen zu blicken, wie ich das in den 1990er- und auch den 2000er-Jahren relativ häufig noch gemacht habe. Ich glaube, dadurch entsteht ein breiteres Spektrum an Stimmungen, an Atmosphäre", so Schink.

Den Norden Brandenburgs und den Osten Mecklenburg-Vorpommerns hat er sich für seine Hinterlanderkundungen ausgesucht. Seit einigen Jahren lebt der 1961 in Erfurt geborene Fotograf auch in Mecklenburg-Vorpommern. Wer Alt Käbelich, Helpt oder Kublank kennt, der weiß: Die Peripherie lädt selten zum Schwärmen ein. Widerspenstig ist sie, trüb, und die von Menschen gebauten Hinterlassenschaften passen sich in all ihrem Pragmatismus da mühelos ein.

Öde Landschaften ohne Filter

Immer wieder fragt man sich beim Betrachten: Wie lange soll ich das noch aushalten, und immer wieder hält man plötzlich inne. Der Havelkanal bei Karpzow: die Eisschollen, die die Spiegelung der mistelüberwucherten Bäume im Wasser stören. Als hätte ein Maler mit dem Finger graue Farbe verschmiert; da, wo es eben noch romantisch aussah. Und inmitten der schwarz-weiß-grauen Stille entdeckt das Auge erst spät und unerwartet die orangerot schimmernde Boje und das blaue Spiegelbild des Schiffahrtszeichens auf der grafisch-grauen Wasserfläche.

Nach diesem Bildband hat man das Gefühl, die Gummistiefel einpacken zu wollen, das Auto zu betanken und an den Wanzkaer See, an die Oder bei Ratzdorf zu fahren. Man weiß: Es wird öde, trostlos, melancholisch und leer. Aber Hans-Christian Schink hat dem Betrachter das Gefühl vermittelt, Landschaften ohne Filter, ohne Hochglanz wieder entdecken zu können. Sie so zu sehen, wie sie sind: manchmal farblos, manchmal schwer auszuhalten. Stillleben, die nichts behaupten. Der Bildband "Hinterland" ist eine Schule des Sehens.

Der Verlag Hartmann Books, bei dem das Buch erschienen ist, ist gerade beim Deutschen Verlagspreis mit einem Hauptpreis ausgezeichnet worden.

Hinterland

von Hans-Christian Schink
Seitenzahl:
148 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
29,5 × 31 cm, 76 farbige Abbildungen, mit einem Gedicht von Oswald Egger, Hardcover mit Leinenbezug, geprägt, Deutsch/Englisch
Verlag:
Hartmann Books
Bestellnummer:
978-3-96070-044-9
Preis:
45,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 04.07.2021 | 17:40 Uhr

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Fotografie

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