An den Rand gedrängt und vergessen: Die Frauen der "Gruppe 47"

Stand: 29.10.2024 06:00 Uhr

Schreibende Frauen waren Autoren in der Nachkriegszeit suspekt und rangierten in ihren Augen zwischen Sexobjekt und unantastbarer Königin, wie die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert in ihrem beeindruckenden Buch schreibt.

von Tim Kopera

Schriftsteller und ihre Werke, die groß rauskommen, landen bekanntermaßen in einer Buchhandlung. So war es bei Ingeborg Bachmann, der literarischen Ikone, ebenso wie bei dem späteren Nobelpreisträger Günter Grass. Beide wurden berühmt durch die "Gruppe 47" - einem Autorentreffen im Nachkriegsdeutschland. Einmal im Jahr trafen sich Schriftsteller, lasen sich gegenseitig Texte vor und kritisierten einander. Schriftstellerinnen waren in der Minderheit. Die Gruppe 47: Ein Männerclub. 

Die Frauen waren den Männern voraus

"Am Anfang war es so, dass die Autoren, die sich da getroffen haben, so aufgeregt waren, dass da jetzt eine Frau dabei ist, die was liest," berichtet die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert. "Man glaubt es nicht. Wie auf dem Schulhof. Sie waren überhaupt nicht in der Lage, sich auf ihre Texte zu konzentrieren." Seifert hat die Geschichte der schreibenden Frauen in der Gruppe 47 erforscht. Ihr Buch trägt den Titel "Einige Herren sagten etwas dazu – Die Autorinnen der Gruppe 47".

Cover "Einige Herren sagten etwas dazu" Nicole Seifert © Kiwi Verlag
"Einige Herren sagten etwas dazu" von Nicole Seifert ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen (24 Euro)

Hinzu kam, dass die Männer überwiegend im Krieg gewesen waren, während die Frauen noch überraschend lange weiterstudieren konnten. Sie waren gut ausgebildet, viele waren promoviert, auch in Literaturwissenschaft. "Das heißt, was die geschrieben haben, war ästhetisch dem, was die Männer geschrieben haben, oft voraus", so Seifert.

Als Köchin mehr geschätzt denn als Künstlerin

Man traf sich in der Provinz. Denn dort war man ungestört. 1947: Erstes Treffen der Gruppe 47 im Haus der Literatin llse Schneyder-Lengyel am Fuß der Alpen. Die meisten Schriftsteller waren vorher Soldaten – die Bedingungen in Nachkriegsdeutschland sind hart. Ilse Schneyder-Lengyel darf in ihrem Haus ein paar Gedichte vorlesen – aber eigentlich schätzt die Gruppe nur ihre Küche.  

Die Gruppe 47 definiert, wie man in Nachkriegsdeutschland schreiben soll. Frauen bleiben in diesem Verein Außenseiter. Bekannt werden nur zwei: Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger. Aichinger schreibt über Ihre Erfahrungen als österreichische Jüdin unter Nazibesatzung. Sie wird gefeiert. Über ihre Texte diskutieren will man aber nicht.

Sexuelle Übergriffe auf Autorinnen

"Da gab es wirklich üble Geschichten", erzählt Nicole Seifert. Ilse Aichinger beispielsweise fand nach der Party, die immer diese Treffen beendete, einen Mann in ihrem Bett vor, nackt - und einen weiteren auf dem Sofa. Sie haben dann Hans Werner Richter holen müssen, damit er die Männer aus ihrem Zimmer entfernt. Richter habe es dann als unheimlich komisch dargestellt, zugleich Ilse Aichinger aber geraten, ihre Tür doch besser abzuschließen.

Hans Werner Richter, der Zeremonienmeister der Gruppe 47. Er organisiert die Treffen und lädt ein, wen er dafür geeignet hält. Schon die Einladung ist eine Auszeichnung für Nachwuchsautoren. Die Gruppe 47 kann einem den Weg zum Erfolg ebnen - doch vor Schriftstellerinnen scheinen die Schriftsteller geradezu Angst zu haben. 

Ungleichbehandlung auf allen Ebenen

Wer liest, darf sich von seiner Ehefrau begleiten lassen. Umgekehrt gilt das nicht. Natürlich: Im Mittelpunkt stehen die Texte, die Literatur. Doch wenn Frauen hier lesen, werden sie, ohne dass darüber gesprochen wird, ganz anders beurteilt. "Die Autorinnen wurden auf einem heißen Stuhl gesetzt – wer vorlas, durfte darüber nicht mitdiskutieren", sagt Seifert.

Gruppe 47 © NDR
Schon damals: Alte, weiße Männer, die Frauen als Künstlerinnen nicht anerkannten

"Es war tatsächlich so, dass da immer so ein Nebeneinander war von Abwerten und Überhöhen, von Sexualisieren und Königin erheben", erklärt die Literaturwissenschaftlerin Seifert. Das habe bedeutet, dass die Frauen nicht als Autorinnen, als Kolleginnen wahrgenommen wurden. "Nicht mit ihren Texten, nicht als reale einzelne Frauen, sondern sie verschwanden immer hinter diesen ganzen Sphinx-Cleopatra-Melusine-Gerede."

Die Treffen der Gruppe 47 ‚machen‘ Schriftsteller. Manche aber machen sie fertig. 1964 findet das jährliche Treffen in Schweden statt. Hans Werner Richter hat eine Lyrikerin eingeladen, von der er sich viel verspricht: Er möchte eine Nachfolgerin für die durch die Gruppe berühmt gewordene Ingeborg Bachmann finden. 

Männerclub entschied über Karriere der Frauen

Von Griseldis Fleming findet man heute nur noch ein einziges Foto. Ihre Gedichte werden auf dieser Tagung radikal verrissen. Was an Griseldis Fleming kühn und anders ist, wird nicht gesehen. Auf dieser Tagung verglüht ein Stern. "Die ist dann nie wieder gekommen, die hat das so fertig gemacht, dass sie dann auch praktisch als Autorin kaum noch in Erscheinung getreten ist", sagt Nicole Seifert. Griseldis Fleming habe diesem Schmerz Ausdruck verliehen, als eine der wenigen, obwohl viele ebenfals einen Grund dafür gehabt hätten. 

Am Ende waren es immer die Herren, die etwas dazu sagen, etwa Marcel Reich-Ranicki, Kritiker und Mitglied der Gruppe 47: ""Was hat den Autor veranlasst, das zu schreiben und ich befürchte nur eins, das Bedürfnis, zehn der zwanzig Seiten Prosa zu schreiben. Das allein ist als Impuls für die Literatur nicht ausreichend."

Vernichtendes Urteil einer Autorin

Nach zwanzig Jahren ging es dann mit der Gruppe 47 zu Ende. Viele Schriftstellerinnen fand ihr Publikum glücklicherweise jenseits der Gruppe 47. Gabriele Wohmann etwa fand ihren eigenen Weg. Und was sie von diesem Club hielt, erklärte sie später so: "Nix. Da ist überhaupt nichts Wesentliches passiert." 

 

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