Briefe zwischen Bachmann und Frisch: Trümmer einer Liebesutopie
Ingeborg Bachmann und Max Frisch waren das berühmteste Liebespaar der deutschen Literaturgeschichte. Der nun veröffentlichte Briefwechsel "Wir haben es nicht gut gemacht" wirft neues Licht auf diese vergiftete Beziehung.
Von Juli 1958 bis zum Frühjahr 1963 währte die tragische Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch - bis sie endgültig in Unversöhnlichkeit zerbrach. Seither ist immer wieder über die unglückliche Liebe der gefeierten Lyrikerin und des Schweizer Erfolgsautors gestritten worden. Max Frisch wurde meist als übles Liebes-Monster dargestellt, die empfindsame Ingeborg Bachmann als sein Opfer. Der jetzt veröffentlichte Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch, der zusammen mit dem Kommentar mehr als 1.000 Seiten umfasst, rückt diese schwierige Beziehung in ein neues Licht.
Ingeborg Bachmann und Max Frisch lernen sich in Paris kennen
Der romantische Brief ist traditionell das Genre, in dem sich der Liebeswunsch großer Schriftsteller Resonanz verschafft. Die emphatischen Liebesschwüre, die darin formuliert werden, können einem Realitätstest meistens nicht standhalten. Was in Briefen als unverbrüchliche Liebe deklariert wird, entpuppt sich oft als unendliche Geschichte des gegenseitigen Wundenschlagens.
Als sich Ingeborg Bachmann und Max Frisch am 3. Juli 1958 in Paris zum ersten Mal begegneten und sich Hals über Kopf ineinander verliebten, begann ein großes Verhängnis. Aus der Intensität ihres Begehrens erwuchs binnen kürzester Zeit eine destruktive Energie, mit der sich die Liebenden gegenseitig zermürbten. Die Liebe erlebten beide schließlich nur noch als "monströse Unmöglichkeit", wie es Bachmann lapidar in einem ihrer Briefe festhielt.
Einseites Bild über Max Frisch als Bösewicht muss revidiert werden
In der bisherigen Rezeption galt Max Frisch als der finale Beziehungs-Bösewicht, der die sensible Ingeborg Bachmann in eine psychische Krise trieb, von der sie sich nie wieder erholte. Dass dieses einseitige Bild vom üblen Liebesegoisten nicht haltbar ist, zeigt der jetzt veröffentlichte Briefwechsel zwischen den beiden Zentralgestalten der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.
Die Briefe belegen, dass Bachmann der aktive Part bei der Anbahnung der Beziehung war. Sie verlangte dem damals mit der Französin Madeleine Seigner liierten Erfolgsautor sofort eine Grundsatzentscheidung ab.
Max Frisch: "Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von dir"
Als Frisch zögerte, schien das neue Traumpaar schon nach wenigen Tagen am Ende zu sein. Am 6. Juli 1958 schrieb Frisch irritiert, er sei "glücklich und ratlos" - und entscheidungsschwach.
Und ich bin glücklich und ratlos und zu feig, um über die Stunde hinaus zu denken. Ich will den Sommer mit dir. Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir, Du bist ein Meertier, das nur im Wasser seine Farben zeigt, Du bist schön, wenn man Dich liebt, und ich liebe Dich. Zitat aus ""Wir haben es nicht gut gemacht"
Mit solchen flammenden wie widersprüchlichen Bekenntnissen vermochte er Ingeborg Bachmann jedoch nicht zu trösten. Bereits drei Wochen nach dem stürmischen Aufbruch ins Verliebtsein sprach sie Frisch jede Liebesfähigkeit ab.
Zum erstenmal begreife ich, wie verschieden Deine Lage von der meinen ist, ich bin nämlich in gar keiner. Ich habe nicht einmal jemand zu versöhnen, zurückzugewinnen und neu zu lieben; ich bin nur noch deutlicher als früher allein und in keinem Zusammenhang. Ich fühle mich deshalb nicht mehr, und ich wünsche nie mehr eine Hoffnung. Zitat aus ""Wir haben es nicht gut gemacht"
50 Jahre nach Briefwechsel stimmen Bachmanns Erben Veröffentlichung zu
Dass diese intimen Briefe über eine vergiftete Liebesbeziehung veröffentlicht werden, ist nicht der einhellige Wunsch der beiden Briefpartner gewesen. Nach dem bitteren Ende ihrer Verbindung im Frühjahr 1963 hatte Bachmann ihre Briefe kategorisch von Frisch zurückgefordert, was dieser ablehnte. Außerdem wünschte sie die Verbrennung aller Briefe.
Dennoch haben Bachmanns Erben fünfzig Jahre nach ihrem Tod der Veröffentlichung zugestimmt. Frisch seinerseits hatte nur eine Sperrfrist von zwanzig Jahren nach seinem Tod verhängt, die 2011 abgelaufen war. So gibt es nun auch große Lücken in der Korrespondenz.
Die 300 Briefe aber, die nun in diesem ausgezeichnet kommentierten Briefband versammelt sind, sind erschütternde Dokumente. Hier wird exemplarisch vorgeführt, wie zwei Menschen um die Erfüllung ihres Liebeswunsches ringen und sich dabei immer mehr in Depression, Trauer und Verzweiflung treiben. Einmal durchbricht Frisch das Ritual und fragt nach der Quelle der Liebesbeschwörungen:
Ich sehe einen wilden und schäumenden Strudel der Eigenliebe, herrlich als Anblick, aber wer sich hineinwirft, sollte nicht verwundert sein, wenn er nicht getragen wird und als Wrack herauskommt. Zitat aus ""Wir haben es nicht gut gemacht"
Frisch überlebte Liebes-Disaster, Bachmann starb mit 47 Jahren
Die aufgeregten Brief-Bekenntnisse sollten freilich aus literaturhistorischer Distanz relativiert werden. Ebenso die einseitige Bewertung von Täter und Opfer. Denn während Bachmann im Sommer 1958 in wachsender Verbitterung die Rückzugsbewegungen Frischs kritisierte, hatte sie zur gleichen Zeit eine Affäre mit Hans Magnus Enzensberger begonnen. Im Frühjahr 1962 verliebte sie sich dann in den italienischen Germanisten Paolo Chiarini. Auch Frisch stürzte sich seinerseits in immer neue Affären mit jungen Frauen.
Max Frisch überlebte dieses Liebes-Desaster, Ingeborg Bachmann dagegen geriet immer mehr ins Unglück und starb 1973 mit nur 47 Jahren an den Folgen eines Brandunfalls. Die Trümmer ihrer Liebesutopie sind in diesem epochalen Briefwechsel zu besichtigen.
Ab dem 2. Januar wird der Briefwechsel in der Sendung "Am Morgen vorgelesen" bei NDR Kultur gesendet. Es lesen Johanna Wokalek und Matthias Brandt.
"Wir haben es nicht gut gemacht: Der Briefwechsel"
- Seitenzahl:
- 1039 Seiten
- Genre:
- Briefe
- Verlag:
- Suhrkamp
- Veröffentlichungsdatum:
- 21. November 2022
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43069-9
- Preis:
- 40,00 €