Bodo Kirchhoff ist 75: Sprache und Sexualität zusammenbringen
Am 6. Juli 1948 wurde der Schriftsteller Bodo Kirchhoff in Hamburg geboren. Sein umfassendes Werk besteht vor allem aus Romanen und Erzählungen. 2016 erhielt er für die Novelle "Widerfahrnis" den Deutschen Buchpreis.
Wer nicht bereit ist, sich seinen eigenen Abgründen zu stellen, sollte von der Literatur die Finger lassen. Dazu rät Bodo Kirchhoff in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen, denen er die Überschrift "Legenden um den eigenen Körper" gab. Da hatte er den unglückseligen Ruf eines Pornoschriftstellers noch nicht ganz abgestreift. Seine frühen Werke - die Novelle "Ohne Eifer, ohne Zorn", der Erzählungsband "Die Einsamkeit der Haut" -, in denen er schonungslos über Onanie, über die Lust an der Beobachtung eines verwesenden Körpers und über das Frankfurter Stricher- und Drogenmilieu geschrieben hatte, brachten ihm diesen Ruf ein. Rückblickend sagt Bodo Kirchhoff dazu:
"Es tat mir für meine Mutter leid, die das Gefühl hatte, plötzlich die Mutter eines Pornoschriftstellers zu sein, was ich nie war. Ich wusste nur und habe sehr bald gemerkt, dass ich es mir dadurch nicht leichter gemacht habe. Ich hatte ein frühes Sündenregister und musste mich da langsam wieder abarbeiten. Das hat lange gedauert - über 20 Jahre."
"Parlando" als Wendepunkt im Leben und Werk von Kirchhoff
Erst mit dem Vater-Sohn-Roman "Parlando" ändert sich dieser Ruf allmählich. So wie manch anderes im Leben des Autors: "Mein Schreiben hat sich nach 'Parlando' wesentlich verändert. Natürlich kamen auch hinzu meine Frau, meine Kinder, meine Familie. Mich hat dann wirklich interessiert, wie sieht das aus, wenn man über Jahrzehnte eine Beziehung hat. Wenn wir lieben oder geliebt haben, wenn wir auf Lieben zurückschauen und uns weiter nach Liebe sehnen. Für mich war von Anfang an ein Schlüsselsatz, auf den ich irgendwann kam: 'Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann. Sogar gemeinsam.' Ich glaube, alles, was ich seitdem geschrieben habe, ist diesem Satz ein Stück weit untergeordnet", blickt Kirchhoff zurück.
2016 Deutscher Buchpreis für "Widerfahrnis"
Diese Sehnsucht nach Liebe treibt auch die Protagonisten in der Novelle "Widerfahrnis" um, für die Bodo Kirchhoff 2016 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wird. Für ihn weniger eine späte Genugtuung als vielmehr eine Befreiung.
"Und dann kam noch etwas sehr Intimes, sehr Persönliches hinzu. Ich hatte vorher die Losung ausgegeben - ich saß ja mit meiner Frau und meinen Kindern dort: Cool down, egal was passiert! Aber in dem Moment, als mein Name fiel, entfuhr meinem Sohn aus tiefster Seele eine Art Schrei, ein Ruf, und das hat mich sehr gerührt", erzählt der Autor.
Antrieb: Berührungspunkte zwischen Phantasie und Leben
Kirchhoff zeigt sich in seinem Werk immer wieder als Seiltänzer über den seelischen Abgründen menschlicher Existenz. Die Berührungspunkte zwischen literarischer Phantasie und wirklichem Leben treiben ihn an. "Die Literatur ist die einzige Kunstform, die uns erzählt, was das Andere im anderen ist, die uns klar macht, wie ist ein anderer, die uns sprechen lässt und uns den anderen nahe bringt", meint Kirchhoff und fügt hinzu: "Das Pendant im Leben ist, das man einen anderen in sein Leben hineinlässt. Und das ist ja das, was hier (in der Novelle 'Widerfahrnis', Anm. d. Red.) am allermeisten Angst auslöst."
Missbrauchserfahrungen in "Dämmer und Aufruhr"
Wenn das elende Image des Pornoschriftstellers auch längst überwunden ist, so bleibt ein zentrales Anliegen bei Kirchhoff der Versuch, Sprache und Sexualität zusammenzubringen. 2018 veröffentlichte er den autobiografischen Roman "Dämmer und Aufruhr", in dem er auch seine Missbrauchserfahrungen in einem Internat schildert. "Mit dieser romanhaften Autobiographie setze ich dieses Vorhaben, Sprache und Sexualität zusammenzubringen, fort. Ich meine und ich hoffe und ich glaube, dass es zu einem gewissen Ende gekommen ist durch "Dämmern und Aufruhr", weil ich zum ersten Mal die Geschichte meiner Sexualität als die Geschichte meines Schreibens erzählt habe."
Kirchhoffs Themen: Liebe, Tod und menschliches Miteinander
Verglichen mit der Generation seiner Eltern mit ihrer Kriegserfahrung hat Bodo Kirchhoff das eigene Leben lange als banal empfunden. Das hat sich gründlich geändert. In seinen Büchern geht es immer ums Ganze: um die Liebe, um die Freundschaft, um den Tod und die Frage, wie wir das Leben bestmöglich miteinander verbringen können. "Ich bin kein per se politischer Autor, der irgendwelche Thesen aufstellt, sondern ich versuche für etwas, von dem ich glaube, dass es nur eine bruchstückhafte und mangelhafte Sprache dazu gibt, eine angemessene Sprache zu finden", erklärt Kirchhoff.
Im Januar erscheint Bodo Kirchhoffs neuer Roman mit dem Titel: "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt."