Bildschöne Bücher: Das vielseitige Werk von Lyonel Feininger
Wenige Künstler waren so vielseitig wie Lyonel Feininger. Eine große Retrospektive in Frankfurt zeigt viele Facetten seines künstlerischen Schaffens. Der aufwendig gestaltete Katalog dazu ist im Hirmer Verlag erschienen.
Häuser, die Kirche von Gelmeroda, Schiffe, der Strand, Menschen - die Gemälde, Holzschnitte und Zeichnungen von Lyonel Feininger sind Linie und Fläche, Farbe und Form. Spannend sind dabei die Übergänge. Auf seinem Weg vom Zeichner und Karikaturisten zum Maler entstehen Gemälde wie das Bild "Aufruhr" aus dem Jahr 1910. Es wirkt verwackelt und unmittelbar, ist ganz anders als die späteren, streng komponierten Arbeiten.
Feininger: "Menschen mit Sehnsucht verstehen mich"
Eine übergroße Figur läuft durch die untere Bildmitte. Ihr Gesicht: ein Totenkopf. An der geschulterten Mistgabel hängt ein rotes Stück Stoff. Ihre Silhouette wird durch eine rote Umrandung betont. Der Himmel über den in Blautönen angelegten Häusern ist rosarot. Durch die Gasse laufen weitere Figuren: unten links ein gesichtsloser Harlekin in weißem Gewand, rechts am Bildrand eine voluminöse Gestalt mit Stock und eine rufende Frau mit grellrotem Mund. Bis auf den Mistgabelträger sind die Menschen in Blau-, Schwarz-, Weiß- und Grüntönen gehalten. Ein einsamer Zylinder liegt am Boden.
Als Lyonel Feininger 1887 nach Deutschland kommt, will er in Leipzig am königlichen Konservatorium Geige studieren. Tatsächlich studiert er in Hamburg und Berlin bildende Kunst. Musik bleibt dennoch ein wichtiger Teil seines Lebens - und wird in den von ihm komponierten Fugen sogar zum künstlerischen Ausdrucksmittel.
Amerika und Deutschland, Lyonel und Lionel, Bauhaus und Karikatur, Zeichnung und Malerei, Holzschnitt und Fotografie, Objektkunst und Komposition. Wo für andere Künstler ein "entweder-oder" gilt, lebt Feininger ein "sowohl-als-auch". In den Worten des Künstlers: "Menschen mit Sehnsucht verstehen mich."
Lyonel Feininger: Ein sich immer neu erfindender Künstler
Die Sehnsucht, die Suche nach dem Ausdruck, vielleicht auch der Wunsch die Welt verstehen zu wollen, indem man sie auf unterschiedlichste Weise abbildet, lassen Lyonel Feininger immer neue Wege beschreiten. Für seine Kinder schnitzt er Häuser, Brücken, skurrile Holzfiguren und einen kleinen Elefanten. Andreas Feininger, Sohn aus zweiter Ehe und renommierter Fotograf, hat die zwischen 1925 und 1955 entstandenen Figürchen in Schwarz-Weiß-Szenen festgehalten. "Die Stadt am Ende der Welt" nennt Lyonel Feininger das Ensemble. Titelgleich eine Kaltnadelradierung aus dem Jahr 1910, in der sich kleine Häuser um einen winterlichen Platz gruppieren.
"Das Motiv bezieht sich direkt auf Alfred Kubins Roman 'Die andere Seite', den Feininger bereits kurz nach seinem Erscheinen gelesen hatte. (…) Obwohl die Spielzeuge zum Gebrauch gedacht waren und zunächst seinen Kindern zugutekommen sollten, enthalten sie starke Elemente von Melancholie und Weltflucht und finden somit viele Parallelen in Feiningers künstlerischer Welt", schreibt die Kunsthistorikerin Ingrid Pfeiffer. Ihr Text, wie auch die anderen in dem Band, zeigt das Bild eines tätigen, sich immer neu erfindenden Künstlers. Natürlich ist da Melancholie, natürlich auch Weltflucht - es überwiegt aber die Freude am Ausdruck. Und die überträgt sich.
"Es gibt nur eine Kunst", sagt Lyonel Feininger, "die zeitlose."
Lyonel Feininger - Retrospektive
- Seitenzahl:
- 272 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Hirmer
- Bestellnummer:
- 978-3-7774-4177-1
- Preis:
- 49,90 €