Bildschöne Bücher: "Liebe. Eine kuriose Geschichte in 50 Kapiteln"
Der Brite Edward Brooke-Hitching hat in seinem neuen Bildband "Liebe" historische Funde und Materialien zusammengetragen, mit denen er dem Wesen dieses komplizierten Gefühls auf die Schliche kommen will.
Der in London lebende Autor und Dokumentarfilmer Edward Brooke-Hitching sammelt alte Karten und Fundstücke. Zu unterschiedlichen Themen hat er bereits Bände veröffentlicht: etwa über die "Bibliothek des Wahnsinns", den "Atlas des Himmels" oder den "Atlas des Teufels". Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis er sich an eines der größten Mysterien der Menschheit heranwagt. Jetzt ist sein neues Buch erschienen: "Liebe. Eine kuriose Geschichte in 50 Kapiteln".
Steinzeitliche Belege für zwischenmenschliche Liebe
Eine Felswand in beige. Darauf sind in roter Farbe zwei Figuren gemalt: kompakter Rumpf, Beinchen, die fest auf dem Boden stehen. Er beugt sich zu ihr. Zart berühren sich ihre Köpfe. Eine vorsichtige, liebevolle Geste. Die 12.000 Jahre alte Felsmalerei in der archäologischen Grabungsstätte Pedra Furada in Brasilien zeigt keine typischen Jagd- oder Kampfszenen, sondern den wahrscheinlich ältesten dokumentierten Kuss der Menschheitsgeschichte. Das Bild hat etwas von einer verspielten Comic-Zeichnung, die man heute an einer großstädtischen Hauswand finden könnte.
Wann haben Menschen angefangen, die Liebe künstlerisch festzuhalten? Der Autor geht weit zurück und zeigt uns zum Beispiel die erste Darstellung eines im Liebesakt verschmolzenen Paares. Die steinzeitliche Figur, gemeißelt aus hellem Kalzit, ist 11.000 Jahre alt. Ein Knäuel aus zwei Menschen, wie verknotet.
Von Eheverträgen und Liebeskrankheiten
Überraschend sind manche seiner Entdeckungen: Wir sehen den ältesten bekannten Ehevertrag aus dem alten Mesopotamien. Der in Keilschrift verfasste Text auf rotem Stein verspricht dem Ehemann eine Sklavin, sollte sich seine Frau als unfruchtbar herausstellen.
Manchmal wurde Liebe reduziert auf Fortpflanzung, dann wieder auf einen Wahn, der nicht zu verstehen ist. Eine Texttafel aus dieser Zeit warnt vor einer Krankheit:
Wenn der oder die Erkrankte sich ständig räuspert; oft keine Worte findet; wenn er oder sie ganz allein am Feldrand unvermittelt in Lachen ausbricht, plötzlich niedergeschlagen ist, unter Atemnot leidet und sich am Essen und Trinken nicht freuen kann, dann handelt es sich wahrscheinlich um die Liebeskrankheit. Leseprobe
Hochzeitsfeiern, Keuschheitsgürtel und Prostituierte
Brooke-Hitching widmet sich etlichen Kulturen und Epochen: den erotischen Darstellungen der Alten Ägypter, den Bildern von kakaogetränkten Hochzeitsfeiern der Azteken, den Fotos imposanter Goldbroschen zur Brautwerbung der Wikinger. Er zeigt Erinnerungen an prüde Zeiten: Keuschheitsgürtel aus dem 16. Jahrhundert, die mit ihren Zacken und ihrem sicher kalten Metall aussehen wie Foltergeräte.
Und dann gibt es da auch die betont lustvolleren Phasen: Eine aufgeplusterte, weiße Bettdecke, die sich faltet wie eine verschneite Gebirgslandschaft. Am oberen Ende gucken zwei Köpfe hervor. Eine Frau, ein Mann. Sie schauen einander an. Intensiv und satt. Verwuschelte Haare. Der dunkelrote Samt-Überwurf im Bildvordergrund changiert im Licht, fast als würde er brennen.
Ein intimes, aufregendes Gemälde. 1893 malte der französische Post-Impressionist Henri de Toulouse-Lautrec "Au lit", "Im Bett", - eine Prostituierte in ihrer Freizeit. Er lebte im Pariser Vergnügungsviertel und wurde mit seinen authentischen Bildern aus Bordellen bekannt.
Eine visuelle Reise voller Überraschungen
Berührend sind vor allem die leisen Momente, von denen der Band erzählt. Fotografien freigelegter Gräber - manche mehrere tausend Jahre alt - zeigen Skelette von Paaren, die Händchen halten, sich umarmen oder sogar küssen. Eine Hand berührt dabei die inzwischen nicht mehr existente Wange des Geliebten. Diese Bilder treffen mit Wucht. Sie sind tieftraurig und gleichzeitig wunderschön. Wer träumt nicht von so einer Liebe?
Die visuelle Reise, die Edward Brooke-Hitching mit diesem Buch macht, will gar nicht vollständig sein. Sie zeigt, wie wandelbar, rätselhaft und am Ende doch wieder zeitlos und universell Liebe ist. Es ist ein vollgepackter Band, der uns Aufmerksamkeit und Neugier abverlangt. Belohnt werden wir mit Überraschungen. Wer weiß schon, wie Verliebtsein klingt?
Die hörbar gemachten Hirnströme der verliebten Künstlerin Ann Druyan. Sie gestaltete die symbolische Gebrauchsanweisung auf der "Voyager Golden Record", die 1977 als Botschaft ins All geschickt wurde. Darauf auch diese Aufnahme: Der verliebte Mensch.
Liebe. Eine kuriose Geschichte in 50 Kapiteln
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Lutz-W. Wolff
- Verlag:
- Knesebeck
- Bestellnummer:
- 978-3-95728-858-5
- Preis:
- 38 €