Bildschöne Bücher: "Between Us" - Faszinierende Tierporträts
Seit einigen Jahren gibt es den Trend, Tiere in vermenschlichenden, meist herrschaftlichen Porträts zu malen. Ein neuer Bildband zeigt, dass es keinerlei Schnickschnack braucht, um Tiere mit Stil und Würde zu porträtieren.
Da steht sie: eine Lady, erhobenen Hauptes. Grazil hat sie einen Fuß vor den anderen gestellt. Sie schaut zur Seite, als würde sie das Getue des Fotografen nicht weiter interessieren. Keine Gisele Bündchen oder Bella Hadid wirft sich hier in Pose. Sie ist eine Aue, ein weibliches Walliser Schwarznasenschaf. Flauschig, schwarz-weiß-gefleckt und trotz ihrer Fellknäuel-artigen Statur hat sie definitiv Supermodel-Qualitäten. Die Haltung: souverän und smart. Ein großartiges Foto. Sind ihre kleinen Löckchen am Hals struppig oder weich?
"Tiere brauchen keinen Stylisten"
Sofort spüre ich eine Verbindung zu den Aufnahmen von Vincent Lagrange. Der belgische Fotograf hat sich spezialisiert auf Porträts, vor allem von Tieren, erzählt er im Interview mit einem Foto-Magazin: "Wenn du mit Models arbeitest, brauchst du Make-Up, brauchst du Stylisten, brauchst du eine Menge. Und wenn du mit Tieren arbeitest, ihnen Auge in Auge gegenüberstehst, dann haben sie schon das schönste Make-Up, sie brauchen keinen Stylisten. Es ist einfach unverfälscht. Ich liebe es, das, was sie erzählen, mit meiner Linse festzuhalten."
Der Vogel mit dem bezeichnenden Namen Schuhschnabel sieht aus wie ein Ur-Tier. Ich könnte ihn mir sofort neben Dinosauriern vorstellen. Eindringlich der Blick, hellblau leuchtet die Iris. Grau-glänzend sein dichtes Gefieder. Im Mittelpunkt dieser Nahaufnahme steht sein großer Schnabel, gemustert in verwaschenem Terrakotta-Orange. Er scheint angriffslustig zu grinsen. Kein Wunder: Aktuell gibt es nur noch 5.000 bis 8.000 Exemplare - vor allem wegen der Landschaftszerstörung in seiner Heimat, den sudanesischen Sumpfgebieten.
Lagrange hat die Tiere im Studio aufgenommen
Das Walross guckt majestätisch-arrogant, das Katta-Äffchen verträumt, die Strahlenschildkröte schnippisch. In diesem Buch sucht jeder sein Lieblingstier - und findet: Persönlichkeiten. Mein Favorit: Die Schneeeule. Lagrange zeigt ihr Gesicht auf einer Doppelseite. Strahlend-weiße Federn. Nur erahnen kann man darunter den kleinen, schwarzen Schnabel. Ihre gelbleuchtenden Augen hingegen nehmen uns unmissverständlich in die Mangel. Augen, die alles gesehen, alles verstanden haben. Ich fühle mich angeschaut.
Die Fotos erzeugen Nähe. Sie wurden im Studio aufgenommen - fernab von Savanne, Sumpf oder Tundra. Nichts lenkt ab. Meist sind es frontale Anblicke, direkt ins Gesicht. Eine solche Ästhetik kennen wir von Tieraufnahmen nicht, die Modelle wirken dadurch fast menschlich.
"Das Wichtigste ist, eine gute Beziehung zum Tier aufzubauen", erzählt Lagrange. "Ich nutze sanftes Licht, niemals Blitz, damit die Tiere entspannt bleiben. Ich sorge für eine ruhige Atmosphäre und kommuniziere mit Geräuschen. Ich habe Geduld und wirklich nur, wenn es nicht anders geht, nutze ich Futter."
Fotografien auf Augenhöhe
Neben den Charakterzügen, die Lagrange bei jedem Tier hervorzuholen scheint, fallen auch die Details dieser Fotos auf: winzige Ornamente auf dem Panzer des Braunborsten-Gürteltiers, die Wimpern des Warzenschweins oder die schimmernde Haut am Hinterteil von - ja, wer bist du eigentlich? Wer umblättert, wird mit der Auflösung belohnt: Ein Zwergflusspferd hat sich von vorne und hinten präsentiert. Im Gesicht liegt etwas Freches: Neugierige Augen und ein breiter Mund, der genüsslich zu lächeln scheint.
Die Fotos versuchen sich nicht an einer krampfhaften Vermenschlichung von Tieren. Sie schenken Tieren ungeteilte Aufmerksamkeit. Fotografien auf Augenhöhe. Was alle Modelle eint: Sie wirken stolz, erhaben und voller Würde. So fremd sind wir uns vielleicht gar nicht.
Between Us. Animal Portraits
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- teNeues
- Bestellnummer:
- 978-3-9617-1498-8
- Preis:
- 80 €