Bildschöne Bücher: Über die Schönheit und Hässlichkeit Italiens
Der Fotograf Christian Jungeblodt hat viele Jahre in Italien gelebt und hinter die Fassade des immer Schönen geschaut. In seinen Fotografien untersucht er die Widersprüchlichkeit dieses Landes.
Keine Frage: Italien ist schön, leicht, bezaubernd. Bella figura, la dolce vita, eine vorzügliche Küche, sonnengeküsste Landschaften, ein immenser kultureller und historischer Reichtum. Doch das beschreibt noch lange nicht ganz Italien - wahrlich nicht alles in dem Land ist automatisch zauberhaft. Ein Bildband will mit den zum Klischee gewordenen Superlativen aufräumen und das Land in seinen Widersprüchen zeigen. "Bella Italia - on beauty and ugliness" heißt das Buch, das eben Schönheit und Hässlichkeit zeigt.
Die Folgen des Massentourismus
Stolze Meeresgestalten an einer Felswand - seit fast 300 Jahren schauen sie hinab auf die Piazza di Trevi. Das mediterrane Licht Roms zeichnet die klaren Konturen der göttlichen Bauchmuskeln von Oceanus nach. Links und rechts von ihm: zwei Frauenfiguren, deren Gewänder aus Marmor Falten schlagen. Das Wasser hüpft. Der Trevi-Brunnen ist ein barockes Meisterwerk, das man stumm anschauen möchte.
Glücklich kann sich schätzen, wer überhaupt einen Mini-Ausschnitt des Brunnens zu sehen bekommt. Eine Schulklasse versperrt die Sicht. Ein Asiate in luftigem Sommeranzug steht auf der Brüstung, lächelt triumphierend für ein Foto. Zwei Kerle in Gladiatorenkostümen drängen sich Touristen für Schnappschüsse auf. Ätzend, dass so viele dasselbe sehen wollen wie ich - ein Gedanke, der in Italien an vielen Ecken aufkommt.
Die Widersprüchlichkeit Italiens
Der Fotograf Christian Jungeblodt hat viele Jahre in Italien gelebt und hinter die Fassade des immer Schönen geschaut. Gerade weil das Land so ein glattgeputztes Image habe, seien die Kontraste um so größer, ist er überzeugt. In seinen Fotografien untersucht er die Widersprüchlichkeit dieses Landes. Ihm geht es um das Zusammenspiel des Schönen und Hässlichen, um Glanz und Dreck, Eleganz und Abgrund: "Ich versuche nicht krampfhaft, irgendwelche schlechten Seiten an Italien zu entdecken oder zu entlarven. Ich habe sehr viele Orte gesehen, kenne das Land gut, spreche die Sprache gut - das hat meinen Horizont sehr erweitert. Das hat meine Liebe zu Italien nicht geschmälert, aber ich habe einen kritischeren, anderen Blick darauf."
Ein Spiel mit dem Schönen und dem Hässlichen
Die Fotos strahlen eine Ehrlichkeit aus, die imponiert. Eine Frau im Bikini liegt unbequem eingequetscht zwischen den Felsen am Strand in Forte dei Marmi und will sich bräunen. Um sie herum: leere, zusammenknüllte Plastikflaschen und Bauschutt.
Ein Haufen aufeinandergestapelter Plastikstühle und -tische verdeckt den Blick auf Castel di Tora, einen idyllischen Ort, der sich in Treppenstufen um eine mittelalterliche Burg drapiert. Warum nur wird die Schönheit so häufig von Ramsch überdeckt?
Ein Bild von einem Straßenverkauf in Giarre: Hunderte glänzende Kirschen lieblos präsentiert auf einer Motorhaube. Was unappetitlich aussieht, ist als Foto interessant: Nuancen von Rot ergeben ein abstraktes Muster, in dem wir uns beim Betrachten verlieren.
"Es war mein Anliegen, mit den Klischees, aber auch mit dem Schönen und dem Hässlichen zu spielen. Das heißt, dass es Bilder gibt, die formal-ästhetisch schöner sind, als das, was sie darstellen - so ein Spiel mit Inhalt und Form", erklärt Christian Jungeblodt.
Christian Jungeblodt: "Aufmerksames Betrachten tut dem Menschen gut"
Müll, Massentourismus, Geschmacksverirrungen, trostlose, vergessene Ecken - beim Durchblättern ertappen wir uns allmählich auf der Suche nach dem Hässlichen, fragen uns: Wo ist in diesem Bild der Makel, das Verzerrte, das Schmuddelige? Ein bemerkenswerter Effekt: Wir ertappen uns beim Schubladendenken. Denn in manchen Aufnahmen gibt es partout keinen Haken. So sehen wir nur ein kleines rotes Ruderboot, kurz davor ins Wasser zu setzen, vor einem Panorama der Sabiner Berge - ein Bild ohne jede Hässlichkeit.
Christian Jungeblodt hat nicht einfach geknipst, was ihm vor die Linse gekommen ist. Er hat etwas zu sagen. Das ist schlicht, aber nicht weniger wahr: Schau mit offenen Augen in die Welt. "Aufmerksames Betrachten tut dem Menschen gut, weil es eine gewisse Einfühlung bedeutet", findet der Fotograf.
Italien erscheint am Ende nicht weniger liebenswert, sondern kantig, ambivalent, uneins, aber auch: echt.
Bella Italia - on beauty and ugliness
- Seitenzahl:
- 144 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Kerber
- Bestellnummer:
- 978-3-7356-0855-0
- Preis:
- 40 €