Bernardine Evaristos erfrischende Autobiografie
2019 erhielt Bernardine Evaristo als erste schwarze Frau den Booker Prize. Ihren mitunter steinigen Weg zum Erfolg rekapituliert die Autorin jetzt in einer Autobiografie: "Manifesto: Warum ich niemals aufgebe".
Einen ruhigen Ritt kann man dieses Leben wahrlich nicht nennen. Bernardine Evaristo ist als Tochter einer Britin und eines Nigerianers 1959 in einem noch stark von Rassismus geprägten Großbritannien zur Welt gekommen.
So ist das mit der Kunst - man braucht die frühen Rückschläge, um überhaupt die Resilienz zu entwickeln, die einen später unaufhaltsam macht. Das Leben hält Hürden für uns bereit. Es ist für niemanden ein völlig ruhiger Ritt, und auch, wenn natürlich kein Mensch Kämpfe ausfechten will, ist das doch der einzige Weg, Resilienz aufzubauen. Leseprobe
Sie wächst in London als mittleres Kind von insgesamt acht Geschwistern auf - garantiert war immer ein volles Haus, aber selten die volle Aufmerksamkeit. Wenn ihr sehr dominanter Vater sich ihr zuwandte, dann weniger liebe- als gewaltvoll: "Beim Schreiben von "Manifesto" wollte ich alles aus einem positiven Blickwinkel betrachten. Ich wollte sehen, wie ich das Beste rausziehen kann aus meinem Leben, egal ob es schwierige Dinge waren, die ich durchlebte oder nicht. Und welche Lektionen ich dadurch lernte. Und tatsächlich würde ich nichts an meiner Vergangenheit ändern."
Evaristos Schreibstil entzieht sich gängigen Kategorien
Nicht umsonst wurde Bernardine Evaristo schon als "Positivitätspropagandistin" bezeichnet. Aber die Floskel "Was Dich nicht umbringt, macht Dich härter" gilt bei ihr nicht eins zu eins: Sie wird nicht hart, sondern smart. Die Autorin zieht aus unangenehmen oder sogar schmerzvollen Erfahrungen und Umständen neben mentaler Stärke vor allem auch schöpferische Kraft: "Als mittleres Kind habe ich gelernt, unabhängig zu sein und das ist etwas, das ich unglaublich wertschätze. Ich habe gelernt, für mich selbst zu denken, selbstständig zu sein und und irgendwann fand ich den Weg zum Jugendtheater und da lernte ich, mich selbst auszudrücken. Vielleicht hätte ich das Jugendtheater nicht gebraucht, wenn ich nicht in diesem "mittleres-Kind-Syndrom" gefangen gewesen wäre. Und das Jugendtheater war meine Geburt, das war der Beginn meines Lebens, meines kreativen Lebens."
So ging sie zur Schauspielschule und gründete schließlich ein eigenes Theater für Schwarze Frauen: das "Theatre of Black Women". Die Theaterarbeit brachte sie zum Schreiben, zunächst hauptsächlich Lyrik, später auch Prosa und alles mögliche dazwischen - "Fusion Fiction" nennt Evaristo diesen Schreibstil, der sich gängigen Kategorien entziehen will.
Bernardine Evaristo erfindet sich immer wieder neu
Inzwischen bringt sie als Universitäts-Professorin auch angehenden Autorinnen und Autoren das kreative Schreiben bei. Bernardine Evaristo hat sich immer wieder neu erfunden oder gefunden - nicht nur beruflich, auch privat. Wo ihr Bett stand und mit wem sie es teilte, änderte sich immer wieder.
Ich war die ultimative Lesbe. Ich trug alle Abzeichen. Ich trug den androgynen Look, der damals fast etwas von einer Uniform hatte. Ich ging zu jeder Demo. Ich rockte die ganze lesbische Identität und war fest überzeugt, dass meine sexuelle Orientierung in Stein gemeißelt war. Leseprobe
Evaristos "Positivitätspropaganda" tut gut
Sie war nicht in Stein gemeißelt: Heute ist Bernardine Evaristo mit einem Mann verheiratet. Dass unsere gesamte Identität fluide, beweglich ist, dass sich Menschen und ihre Perspektiven ändern können, ja müssen - das lebt und zeigt Evaristo. Ohne moralischen Zeigefinger, auf einer ganz persönlichen Ebene: "Der Prozess des Schreibens, zwang mich wirklich, mich zu befragen, wer ich war und wie ich die Person wurde, die ich heute bin. Und deshalb - auch wenn ich über mein Leben schrieb - brachte es mich dazu, es zu überdenken, auf Dinge in einer etwas anderen Art zu schauen. Also war es so eine Art Entdeckungsreise, was wirklich interessant ist."
Wer sich ganz auf Evaristos "Positivitätspropaganda" einlassen will, wird nicht mehr wie vorher auf das eigene Leben und in die Welt blicken, sich vielleicht eine Scheibe abschneiden von Bernardine Evaristo. Gut wäre es allemal: Eine solche aufrechte und beherzte, erfrischend humorvolle und undogmatische Stimme will man häufiger hören im öffentlichen Diskurs und der Literatur.
Manifesto. Warum ich niemals aufgebe
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Klett-Cotta
- Veröffentlichungsdatum:
- 29. Januar 2022
- Bestellnummer:
- 978-3-608-50015-8
- Preis:
- 22,00 €