Autor Bernd Imgrund: "Faulheit rettet Leben!"
Bernd Imgrund hat über das Faulsein ein Buch geschrieben: "Faul! Vom Nutzen des Nichtstuns" - ein Essay "über den notwendigen Müßiggang in unserer stressigen Zeit". Im Interview spricht er darüber.
Herr Imgrund, welchen Nutzen bringt es denn mit sich, faul zu sein?
Bernd Imgrund: Ganz banal rettet Faulheit Leben. Das Gegenteil von nichts tun ist etwas tun - aber das eine geht nicht ohne das andere. Wenn Sie permanent nichts tun, verfaulen Sie im wörtlichen Sinne. Wenn Sie permanent etwas tun, gehen Sie auch vor die Hunde. Das eindrücklichste Beispiel ist der Burn-out: Der, der so viel gearbeitet hat, arbeitet plötzlich gar nicht mehr, schlägt ins totale Gegenteil, weil er kollabiert ist vor lauter Arbeiten. Derjenige braucht Faulheit, Nichtstun, Kontemplation, Lässigkeit und so weiter. Es gibt ja viele Varianten der Faulheit.
Warum hat faul zu sein nach wie vor solch ein negatives Image bei uns?
Imgrund: Es war tatsächlich mal ganz anders. Der alte Sokrates hat gesagt: "Die Muße ist die Schwester der Freiheit." Die Griechen haben bekanntlich Sklaven arbeiten lassen, und die Arbeit hatte keinen guten Ruf. "Arbeit" und "Sklave" war sogar dasselbe Wort im alten Griechischen. Und Luther hat gesagt: "Wer fleißig arbeitet, der betet zweimal." Das ist also ein echter programmatischer Wandel, den man da feststellen kann. Und Calvin, Luthers Adept, hat dann daraus diesen Wahnsinn gemacht, der im Protestantismus, vor allen Dingen in Amerika eingeschlagen hat, dass der materiell Reiche, Erfolgreiche von Gott auserwählt sei - und andersherum der arme Schlucker verdammt sei. Den Reichtum an die Gottesauserwähltheit zu binden, war der übelste Schlag, der der Faulheit verpasst werden konnte. Und um das vielleicht noch anzuschließen: Zwei weitere Religionen, Kapitalismus und Kommunismus, haben auch die Arbeit ins Zentrum gestellt.
Wie kann es denn gelingen, die Faulheit wieder salonfähig zu machen?
Imgrund: Wenn man darauf ernsthaft antworten will, dann kann man tagtäglich in den Zeitungen studieren, was alles zur Zukunft des Arbeitsmarktes erzählt wird. Faulheit im Sinne von Nichtstun, im Sinne von Reduzierung von Wochenstunden, ist schon eigentlich seit der Industrialisierung ein Thema. Es gab den Sechzehn-, den Zwölf-Stunden-Tag, und 1918 ist in Deutschland der Acht-Stunden-Tag eingeführt worden. Inzwischen gibt es Homeoffice, die sogenannte Work-Life-Balance. Es gibt Vorschläge, wie man den Arbeitsmarkt noch weiter flexibilisieren kann.
Aber das ist natürlich alles eine Frage von Politik und Wirtschaft. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Aber es sollte auf Dauer nicht so sein, dass der Arbeitslose diesen Zustand wie ein Kainsmal auf der Stirn trägt. Das ist tatsächlich eine Folge dieses Wandels während des späten Mittelalters, und das muss man in den Griff kriegen.
Wir erhalten also quasi unsere Arbeitskraft, wenn wir öfter faul sind - ist das der gesellschaftliche Nutzen davon? Oder gibt es noch weitere?
Imgrund: Das ist tatsächlich so. Man hat Forschungen mit Chirurgen angestellt und denen gesagt, dass sie während der OP 30 Sekunden Pause machen. Und was ist dabei herausgekommen? Sie haben genauso schnell gearbeitet, die OP war um dieselbe Zeit zu Ende - aber es war gründlicher, weil kleine Pausen Energie aufbauen. Es ist die Frage, ob man Erholung von der Arbeit nimmt, einen schönen Urlaub macht, oder Erholung für die Arbeit. Das ist der negative Fall: Der Malocher, der nur ausruhen darf, um dann weiter zu malochen, der hat ja kein schönes und erstrebenswertes Leben, gell?
Wie oft liegen Sie denn auf der faulen Haut?
Imgrund: Auf der faulen Haut liege ich sehr gerne. Aber natürlich versuche ich das mit Sinn zu füllen. Es ist sehr leicht, faulenzen zu wollen - es ist aber sehr schwer, wirklich zu faulenzen. Ich nehme mal eine Variante der Faulheit, die Kontemplation, die ich sehr gern benutze: Man sitzt im Sessel und denkt: Heute tue ich mal nichts - und nach zehn Sekunden fangen die Däumchen sich an zu drehen, und du bist genervt. Im Idealfall guckst du nach draußen, vielleicht schneit es schön auf grüne Bäume, und dann verfällst du in so eine Art Trance, hörst vielleicht noch eine gute Schallplatte und kontemplierst, du wirst eins mit dem, was du da siehst und fällst in dich. Sowohl Hermann Hesse als auch Ernst Jünger haben den Idealzustand des Menschen als nahe der Pflanze definiert: wenn du wie eine Pflanze im Boden steckst und der Himmel über dir für dein Wachstum sorgt und die Erde unter dir für dein Essen - das wäre ein Idealzustand.
Haben Sie noch einen Tipp für Leute wie mich, die faul auf der Couch liegen, aber dann doch dauernd im Kopf das Rad rattert und man ein schlechtes Gewissen hat?
Imgrund: Ich könnte empfehlen, bestimmte Bücher zu lesen, die sich genau mit diesem Phänomen beschäftigen. Der weltberühmte Roman "Oblomow" von Gontscharof hat 600 Seiten, und auf den ersten 200 Seiten versucht der Held, ein russischer dekadenter Adeliger, der nicht arbeiten muss, aus dem Bett aufzustehen, und es gelingt ihm nicht. Das ist vielleicht ein ganz guter Anreiz. Es ist eine Kunst, seine Zeit sinnvoll zu füllen. Man bezahlt ja sogar dafür, wenn Sie an diesen scheinbaren Widerspruch denken: Für die Arbeit wirst du entlohnt, für deine Freizeit bezahlst du - ob in Form eines Buches, das du kaufst, oder in Form des Fliegers, der dich nach Malle bringt.
Das Interview führte Eva Schramm