"50 Jahre Hamburg Ballett": Bildgewaltige Zeitreise mit John Neumeier
"50 Jahre Hamburg Ballett. John Neumeier" zeigt das künstlerische Schaffen des Choreografen und Ballettintendanten John Neumeier. Was verrät der Blick in den Bildband über das Werk von John Neumeier?
Die Liste der Namen von John Neumeiers Ballettproduktionen der letzten 50 Jahre ist lang - sehr lang. Die Bilder dazu sind bedrückend schön, wie bei "Peer Gynt": Die Ballerina stolziert vorne weg. Er in gebückt-gekrümmter Pose hinter ihr her. So simpel, so grazil wie skurril, so ausdrucksstark. Oder bei "Fenster zu Mozart": Drei Männer schultern drei Frauen. Die Beine der Tänzerinnen sind angewinkelt. Es wirkt, als würden hier weiß getünchte Zahnräder über die Bühne getragen. Ebenso bei "Der Nachmittag eines Fauns": Er steht auf diesem Sockel. Hoch die Brust, der Blick gen Himmel. Stolz und ganz von sich eingenommen, der Faun.
Es sind poetische Ballett-Bilder. Kaum einmal Schweißtropfen, die durch die Luft fliegen. Vielmehr edle, träumerische Kompositionen. Feen- und adonishafte Körper, kunstvoll arrangiert. Körper von teils legendären Tänzerinnen und Tänzern: Rudolf Nurejev als Don Juan, Marcia Haydée als Fratres und Judith Jamison als Josephs Legende.
Großformatiges Buch mit fünf Kapiteln
Dem allen vorangestellt: Kleine quadratische Portraits in Schwarz-Weiß. 50 Mal John Neumeier. Sein Lachen unverkennbar: damals wie heute: "Ich gehe jeden Tag zur Arbeit und das war, das ist, immer meine Rettung."
Das großformatige Buch ist in fünf Kapitel gegliedert - immer zehn Jahre sind zusammengebunden. Sie erzählen von den Anfängen der Kompanie, von der Gründung der Ballettschule, den ersten Gastspielen, der Eröffnung des neuen Ballettzentrums Hamburg. Wegbegleiterinnen wie die Tänzerin Gigi Hyatt kommen zu Wort, die übrigens in der Originalbesetzung des aktuell umstrittenen Stücks Othello tanzte.
Schon mit 17 traf ich John in einem Kino in München, bei einer Vorführung von Luchino Viscontis "Tod in Venedig", und bat ihn um ein Autogramm. Selbst diese kurze Begegnung hinterließ in mir einen unauslöschlichen Eindruck. Buchzitat aus ""50 Jahre Hamburg Ballett John Neumeier""
Faszinierende Gegenüberstellungen
John Neumeier, der hingebungsvolle Kreative. Der inspirierende Ballett-Meister. Die Wegbegleiter finden viele schmeichelnde Worte für den Jubilar: "Ich habe das Gefühl, dass ich ein Geschenk habe, dass ich Künstler bin", sagt er.
Faszinierend sind die Gegenüberstellungen: Fotografien der Originalbesetzung aus dem letzten Jahrtausend - fast ausschließlich in Schwarz-Weiß - und direkt daneben toll ausgeleuchtete Bilder der Wiederaufnahme nach dem Millennium. Die Kostüme, das Bühnenbild: oft identisch, wie bei der "Kameliendame".
Bildband ist eine reine Huldigung
Doch wer eine der alten Inszenierungen auf der aktuellen Bühne schon einmal gesehen hat, kommt womöglich ins Grübeln. Kein Wandel, nirgendwo? Wie z.B. bei "Liliom", da sind viele Schmachtszenen, ganz klassisch, zwischen Mann und Frau zu sehen. Machohafte Helden.
Beim Blättern fragt man sich: Was war und ist das Revolutionäre an John Neumeiers Balletten? Waren es die afroamerikanischen Tänzer, die in den 70er-Jahren unter ihm tanzten? Waren es die Kostüme? Die Feier des Ästhetischen? "Natürlich muss das Wichtigste sein, dass ich glaube, was ich gemacht habe, ist richtig", sagt Neumeier. "Nicht, dass es perfekt ist, was es nicht ist. Aber dass es richtig ist, dass es mich bewegt. Wenn es mich nicht bewegt, dann ist es eine Lüge."
Der Fotoband ist eine reine Huldigung, eine beeindruckende und bildgewaltige Zeitreise in ein halbes Jahrhundert Ballettgeschichte - der durch eine kritische Einordnung von außen jedoch noch bedeutsamer geworden wäre.
50 Jahre Hamburg Ballett John Neumeier
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Henschel Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3894878405
- Preis:
- 49 €