Wie beeinflusst Musik die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern?
Musik kann beruhigen, die Stimmung heben und jede Menge emotionaler Effekte auslösen. Aber macht Musik auch schlau und sozial? Fragen an den Musikwissenschaftler Wolfgang Martin Stroh.
Herr Stroh, was zeichnet gute Musik für Kinder aus?
Wolfgang Martin Stroh: Es geht um die musikalische Tätigkeit: Wie wird mit dem Kind musikalisch interagiert. Denn es hängt davon ab, ob die Mutter zum Beispiel ein Lied singt oder ob die Mutter das Radio anstellt. Bei kleinen Kindern ist die Interaktion ganz wichtig und was das Kind auch selbst macht, ob es selber mitmachen kann. Das ist der entscheidende Punkt für die Entwicklung, auch im Gehirn, wo sich die Synapsen besser verzweigen.
Jahrelang hat man gesagt, dass Mozart schlau mache und sich positiv auf die Intelligenz auswirke. Inzwischen weiß man, dass das überbewertet worden ist, oder?
Stroh: Der sogenannte Mozart-Effekt ist mit Studenten ausprobiert worden und gilt in der Wissenschaft weitgehend als unseriös. Mit Intelligenz ist da nichts zu machen. Was einigermaßen niet und nagelfest bewiesen ist, sind die sozialen Kompetenzen im Schulalter: Wenn Kinder musizieren, fördert das die sozialen Kompetenzen signifikant. Alle anderen Effekte, die man versucht hat, nachzuweisen - Fehlanzeige.
Dann macht Musizieren Kinder nicht unbedingt klüger, aber immerhin sozialer. Was für Auswirkungen hat Musik auf die Persönlichkeitsentwicklung, vor allem bei Kindern?
Stroh: Wenn Kinder viel musikalisch tätig sind, also selbst spielen und singen und in einem Umfeld sind, in dem Musik gemacht wird, dann sind sie erheblich vielfältiger im Repertoire ihrer Handlungsmöglichkeiten, ihres Hörens und ihres Aneignens der Wirklichkeit. Kinder lernen laufend, indem sie sich Wirklichkeitselemente aneignen. Und wenn man musikalisch mit anderen Menschen interagiert, mit Instrumenten und auch mit sich selbst, also tanzen, trommeln und singen, ist das eine sehr differenzierte Form, wie man mit der Realität umgeht. Das ist ein komplexer Lernprozess, der für die Persönlichkeit wichtig ist, der sich aber nicht unbedingt darin äußert, dass man besonders gut singt oder die Noten kann, also spezifische musikalische Kompetenzen erwirbt.
Würden Sie zustimmen, dass es keine unmusikalischen Menschen gibt, dass jeder Mensch eine ausbildungsfähige und ausbildungswürdige musikalische Begabung mitbringt?
Stroh: Ja, wenn man musikalisch so definiert, dass man Freude an Musik hat, dass man singen, tanzen und spielen kann, dann ist es in jedem Fall so, dass alle Menschen das können. Es sei denn, sie haben extreme Hörschäden oder entsprechende pathologische Erscheinungen. Aber sonst ist das kein Problem. Ein anderes Problem ist, ob alle Menschen lernen könnten, gut Klavier zu spielen. Dazu braucht man doch eine gewisse Disposition, an Eifer, an Konzentration, aber letztlich auch an manuellen Fähigkeiten. Vor allem diese Konzentration und dieses Dabeibleiben ist für den halbprofessionellen Bereich sehr wichtig, und da hört es dann mit der sogenannten Musikalität auf.
Wie beurteilen Sie den Musikunterricht heute insgesamt? Gibt es da Verbesserungspotenzial, mal ganz abgesehen von der Forderung, dass er überhaupt stattfinden möge?
Stroh: Der Musikunterricht hat sich relativ positiv entwickelt, indem er sich thematisch auf die Welt der Kinder eingestellt hat. Heutzutage ist es ein Essential des Musikunterrichts, dass er berücksichtigt, wie Kinder mit Musik im Alltag, außerhalb der Schule, umgehen. Mittlerweile ist man da einfach weiter. Man berücksichtigt die Popmusik, knüpft an mit praktischem Pop-Musizieren und erweckt dann das Interesse an anderen Formen des Musizierens.
Das Interview führte Philipp Cavert.