Vor 40 Jahren landete die erste E-Mail in Deutschland
Der Internetpionier Michael Rotert war am 3. August 1984 der erste Empfänger einer E-Mail in Deutschland. Damals arbeitete er am Institut für Telematik der Universität Karlsruhe. Im Interview mit NDR Kultur erinnert er sich an die Anfänge des E-Mail-Verkehrs und spricht über dessen Zukunft.
Herr Rotert, was haben Sie beim Öffnen dieser allerersten E-Mail 1984 gedacht?
Michael Rotert: Es gibt ja einen Vorlauf dazu: man braucht bestimmte Software, man muss wissen, wo man anwählen kann. Man muss die Software auch testen, ob die bereit ist, Mails zu empfangen und zu verschicken. Das lief alles im Vorfeld. Die Bereitschaftserklärung war diese erste E-Mail, und das hat mich natürlich total gefreut. Meine Worte waren: "Heureka, ich hab's!". Das war schon ein Meilenstein für eine deutsche Universität, an das damalige Arpanet - so hieß das Internet zu der Zeit - dranzukommen, und damit auf Augenhöhe mit den Amerikanern, zumindest was die Informationen angeht, zu sein.
War Ihnen dieses Riesenpotenzial, was in diesem Kommunikationsweg schlummerte, klar?
Rotert: Für die Wissenschaft: ja. Da kamen ganz schnell Anfragen aus vielen Universitäten: Wir wollen auch, wie können wir dran, was müssen wir tun, wir brauchen das ganz dringend. Es kamen auch schon erste Firmen und haben gefragt, ob sie das für ihr Office nutzen können. Die mussten wir abschlägig bescheiden. Dass das aber mal so weit geht, bis an die 360 Milliarden E-Mails pro Tag, das war nicht klar. Das konnte man auch gar nicht absehen, weil zu der Zeit die Kommunikationsmöglichkeiten überhaupt nicht gegeben waren.
Die Firmen haben erst Absagen bekommen, aber wann hat sich das gewandelt, wann hat man gesagt: Eigentlich könnten da auch alle mitmachen?
Rotert: Das waren eigentlich zwei Ereignisse. Die Leitungen waren vom Wissenschaftsministerium bezahlt, und die wollten das ab 1989 nicht mehr tun, weil sie kein Geld mehr hatten. Das sollten dann Firmen übernehmen. Damit war das Internet praktisch für den Kommerz freigegeben. Der nächste Punkt war aber auch der Fall der Mauer, weil damit die ganze Spionage wegfiel, wovor die Amerikaner unheimlich Angst hatten, dass das ehemals militärische Internet, das Arpanet, aus Russland oder aus anderen Staaten infiltriert wird. Diese beiden Ereignisse haben das Internet geöffnet - damit war aber noch nicht die ganze Masse dran. Weil was dem Internet für die Masse fehlte, waren die Inhalte, und die kamen erst 95 mit der Entwicklung des World Wide Web. Nachdem diese Software draußen war und dann auch noch ein, zwei Jahre später ISDN dazu kam, sodass man sich viel leichter einwählen konnte - das war dann der Durchbruch, zumindest hier bei uns in Deutschland.
Der Durchbruch für alle Menschen war auch, dass die E-Mail komplett kostenlos ist. Inwiefern hat die E-Mail damit auch unsere Telekommunikation revolutioniert?
Rotert: Man muss anmerken, dass die E-Mail am Anfang in dem Forschungsbereich nicht kostenlos war. Die Leute mussten aus einem ganz einfachen Grund bezahlen: Ich habe den Server betrieben, und die Uni Karlsruhe musste den Transport der Mails nach USA und von USA bezahlen. Das hat man wieder von den Nutzern reingeholt. Damals hat so eine DIN-A4-Seite etwa zehn Cent gekostet, egal, ob sie unverlangt gesendet wurde oder nicht. Zum Glück gab es damals noch nicht so viel Spam, da war das Problem nicht ganz so groß. Erst später, als die ersten Mail-Provider aufkamen, wurde das kostenlos gemacht. Die Frage ist, ob der Spam in der Form entstanden wäre, wenn das weiter kostenpflichtig geblieben wäre, oder ob die Mail überhaupt diese Bedeutung erlangt hätte.
Inzwischen kommunizieren wir auch über Videochats, über irgendwelche Storys und Postings. Da ist so eine textbasierte E-Mail wieder altmodisch. Wie sehen Sie die Zukunft der Mail?
Rotert: Ich würde die E-Mail im Moment nicht als altmodisch betrachten, weil die ganzen Firmen und Behörden haben, verschicken darüber Rechnungen und Ähnliches. Der E-Mail-Verkehr von Behörden oder Firmen zu Verbrauchern steigt. Was die Verbraucher betrifft, haben Sie Recht, aber diese Chat-Systeme sind meistens geschlossene Systeme - die E-Mail dagegen ist offen. Wenn ich in einem Chat-System bin und und ein anderer Benutzer in einem anderen, muss ich mich bei dem anderen Chat-System anmelden, um den zu erreichen. Wenn ich jemandem eine E-Mail schreiben will, dann schreibe ich die Adresse, und es interessiert mich nicht, in welchem System der arbeitet - das ist der große Unterschied. Irgendwie ist eine E-Mail doch noch formaler als so ein Chat. Deswegen gebe ich der E-Mail durchaus noch eine Zukunft. Der geschriebene Brief ist ja auch noch nicht ganz verschwunden.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.