Wohnwahnsinn Hamburg
In Hamburg werden Häuser zu Renditeobjekten, Genossenschaften buhlen mit Investoren um Bauland. Wer die Mieten nicht zahlen kann, muss raus. Die Stadt handelt eher zögerlich.
Als Barbara Geiß in ihre Drei-Zimmer-Wohnung in Hamburg einzog, waren die Wände löchrig und untapeziert. Sie hat viel selbst renoviert, hat hier ihren Sohn großgezogen - allein. Was sie als Musiklehrerin verdiente, reichte immer gerade so. Aber seit ein paar Jahren hat sie Angst vor der Mieterhöhung. "Jedes Mal wenn die Mieterhöhung kommt, habe ich schon ein ganzes Jahr vorher Bauchweh", sagt Geiß. Diesmal sei es wieder extrem gewesen: "739,36 Euro, das ist, was ich jetzt zahlen muss." Mit Strom und Wasser muss Barbara Geiß jetzt 812 Euro für ihre Wohnung zahlen. 1.192 Euro Rente hat sie. Ihr bleiben 380 Euro monatlich zum Leben - schwierig in einer teuren Stadt.
Häuser werden zu Renditeobjekten
Barbara Geiß lebt in Hoheluft, in einem der begehrtesten Stadtteile von Hamburg. Viele neue Mieter können deutlich mehr zahlen als die Rentnerin. Das Haus, in dem sie lebt, wurde schon zwei Mal verkauft. Für die derzeitigen Besitzer ist es ein reines Renditeobjekt. Barbara Geiß sagt, es gehe nur ums Geld: "Und das ist erlaubt, und dann macht man das, und viele Rentner fallen runter." Der deutsche Wohnungsmarkt wird für viele zum Albtraum. Im ganzen Land fehlen fast eine Million bezahlbare Wohnungen. Auch in vielen norddeutschen Kommunen steigen die Mieten rasant. Nicht nur für Menschen mit wenig Geld, auch für Normalverdiener wird es immer schwieriger, eine Wohnung zu finden, die sie sich noch leisten können. Die Politik versucht jetzt, gegenzusteuern.
"Die Menschen sollten nicht aus der Stadt verdrängt werden"
Dorothee Stapelfeldt (SPD) ist Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, sie sagt, die Menschen sollten nicht aus der Stadt verdrängt werden. Siegmund Chychla vom Mieterverein Hamburg geht davon aus, dass aktuell etwa 30.000 bezahlbare Wohnungen auf dem Hamburger Wohnungsmarkt fehlen. Das sei mal besser gewesen: Mitte der 80er gab es in der Stadt 350.000 Sozialwohnungen, genug für alle Menschen mit wenig Geld. Dann begann der Niedergang, in ganz Deutschland. Beispiel Hamburg: Im Jahr 2000 war von den 350.000 Sozialwohnungen nicht mal mehr die Hälfte übrig. 2010 habe die SAGA, das städtische Wohnungsbauunternehmen, null Wohnungen neu gebaut, sagt Bausenatorin Stapelfeldt. Ein Beispiel für den Wandel auf dem Wohnungsmarkt in der Stadt ist Barmbek, im Norden Hamburgs: Früher Arbeiterstadtteil - heute wird es auch hier schick.
Hier wohnt Marina Schaper. Sie ist dauerhaft krankgeschrieben. Die erste Mieterhöhung war für sie genau eine zu viel. Nun sucht sie nach Alternativen. Marina Schaper sagt, es gebe keinen bezahlbaren Wohnraum bei ihren Einkommensverhältnissen - "die kurzfristig auch nicht zu ändern sind."
Beim städtischen Wohnungsbauunternehmen hat Marina Schaper bis jetzt nur Wohnungen gefunden, die genauso viel kosten wie ihre jetzige. Außerdem liegen sie weit draußen. Eine Sozialwohnung ist schwer zu bekommen, der Andrang ist enorm. Jetzt sieht sie zwei Möglichkeiten: weg aus Hamburg. Oder aus ihrer Wohnung eine WG machen. "Ne wildfremde Person? Das kann ich mir noch nicht so richtig vorstellen", sagt Marina Schaper.
Günstiger als London oder Madrid - das zieht Investoren an
Bausenatorin Stapelfeldt verspricht, dass es besser wird. In Hamburg wird überall gebaut. Das soll Wohnraum bezahlbarer machen. Aber die Baukosten in Deutschland sind sehr hoch. Und seit ein paar Jahren drängen neue Player auf den Hamburger Wohnungsmarkt: internationale Investoren. Da hier die Preise derzeit noch niedriger als in London, Paris oder Madrid seien, sagt Siegmund Chychla, versprechen sich einige Investoren, dass durch ein Engagement hier große Renditen zu erzielen seien. Das geht mit Altbauten, die man renoviert, um dann kräftig die Miete zu erhöhen, oder mit Neubauten.
Genossenschaften konkurrieren mit Investoren um Bauland
Allerdings: Ein Teil der neuen Wohnungen ist bezahlbar, zumindest für mittlere Einkommen. Zum Beispiel Genossenschaftswohnungen. Aber die Genossenschaften konkurrieren mit profitorientierten Investoren um etwas, das in den Städten immer knapper wird: Bauland. Die Stadt Hamburg hat bis vor Kurzem immer an die Höchstbietenden verkauft. Jetzt ändert sie ihre Grundstückspolitik. Aber im Zweifelsfall, so Kritiker, setzt sich immer noch der durch, der am meisten zahlt. Angesichts der Knappheit an Grundstücken sollte man in der Zukunft Grundstücke nur für sozialen Wohnungsbau vergeben oder aber im Rahmen des Erbpachtrechts, sagt Chychla vom Mieterverein Hamburg. Das heißt: Die Stadt gibt ihr Grundstück nicht aus der Hand, sondern verpachtet es. Damit behält sie den Gestaltungsspielraum - und ermöglicht günstigeres Bauen. "Es ist schon unser Ziel deutlich mehr Wohnungen in Erbpacht zu vergeben", sagt Bausenatorin Stapelfeldt und das habe dann natürlich auch preisliche Vorteile, in Hinblick auf preisgünstigen Wohnungsbau.
Viele Kommunen sind aufgewacht
Das bedeutet bestenfalls niedrigere Mieten. Viele Kommunen sind aufgewacht. Aber sie schwanken zwischen sozialem Ausgleich und dem Wunsch, Investoren und kaufkräftige neue Bewohner anzuziehen. Das menschliche Grundbedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben, und das Geschäft mit dem Wohnraum - das passt in vielen Fällen immer weniger zusammen. Barbara Geiß in Hamburg-Hoheluft macht das Angst: "Ich rede auch für all die anderen, die so was erleben. Ich finde das schrecklich. Und da müssen die sich noch mehr überlegen."