Seebüll: Museum zeigt Emil Noldes Kunst "mit allen Widersprüchen"
Am Mittwoch eröffnet das Nolde Museum in Seebüll seine 67. Jahresausstellung: "Zurück Zuhause. Emil Nolde - Welt und Heimat". Ziel des Hauses ist es, Noldes Kunst "frei von Mythen und Legenden mit allen Widersprüchen" zu präsentieren.
Emil Nolde war einer der führenden Expressionisten im 20. Jahrhundert, bekannt für seine stimmungsvollen norddeutschen Landschaften und ausdrucksstarken Blumenaquarelle. Er war aber auch Rassist, Antisemit, Anhänger der Nationalsozialisten - und das, obwohl er als entarteter Künstler abgestempelt war. Der Blick auf Emil Nolde hat sich erst vor wenigen Jahren stark verändert. Die aktuelle Schau ist die erste im Nolde Wohnhaus nach der denkmalgerechten Modernisierung und Sanierung in den vergangenen Jahren. In der Ausstellung werden Bilder aus den frühen Jahren, 1904/05 und 1913/14, gezeigt, von seinen Reisen nach Italien und in die Südsee. Ein Gespräch mit dem Direktor des Hauses, Christian Ring.
Herr Ring, welche Rolle spielt Emil Noldes antisemitischer Hintergrund bei der Ausstellung?
Christian Ring: Noldes Antisemitismus ist zu der Zeit latent vorhanden. Was sich bei Nolde ändert, ist, ab den 30er-Jahren, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, dass er dort seinen Antisemitismus deutlich radikalisiert. In diesem Kontext zeigen wir beispielsweise auch Werke von jüdischen Frauen, die er in den 30er-Jahren auf Sylt kennengelernt hatte und auch im Kontext der religiösen Bilder, beispielsweise beim Gemälde "Die Philister".
Können wir - mit dem Wissen von heute - die früheren Werke sehen, ohne darüber nachzudenken?
Ring: Ich glaube schon, weil wir bedenken müssen, in welchem Kontext, in welcher Zeit und unter welchen Umständen diese Werke entstanden sind. Der Nolde von 1904/05 ist natürlich ein ganz anderer Nolde wie der von 1934/35. Insofern geht es mir darum, diesen ganzen Nolde aufzuzeigen und auch seine Entwicklung. Während der Nolde in den 30er-Jahren beispielsweise in seiner Biografie es so darstellt, dass ihm seine Reise nach Italien überhaupt nichts gebracht hat, wissen wir aber aus Selbstzeugnissen von 1904/05, wo er sich mit Freunden austauscht, dass er in dieser Zeit die Werke sehr wertgeschätzt hat und auch erkannt hat, dass sie für seine künstlerische Entwicklung sehr wichtig gewesen sind. Diesen Spagat zeigen wir in der Ausstellung.
Spielt das Thema Nationalsozialismus und Antisemitismus eine große Rolle für die Museumsbesucherinnen und -besucher? Oder interessieren die sich vor allem für die Bilder?
Ring: Das ist ganz unterschiedlich. Seit die ersten Erkenntnisse zu Noldes Verhältnis zum Nationalsozialismus und seinem Antisemitismus aufgekommen sind - das war im Zuge der Frankfurter Retrospektive 2014 -, haben wir in Seebüll in der biografischen Ausstellung diese neuen Erkenntnisse für unsere Besucher immer schon vorgestellt und aufbereitet. Das ist jedes Jahr mit den neuen Erkenntnissen aktualisiert worden. Insofern ist der regelmäßige Seebüll-Besucher ganz kontinuierlich über die weitere Forschung aufgeklärt worden, wenn er sich damit auseinandersetzen wollte. Wir haben sehr interessierte Besucher, die das auch beispielsweise bei Führungen explizit zum Thema haben möchten. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Besucher, die sich mehr mit den künstlerischen Themen auseinandersetzen wollen. Das stellen wir all unseren Gästen frei.
Was ist denn Ihr persönlicher Wunsch? Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit in Seebüll vor allem erreichen?
Ring: Mein großes Ziel ist es, den ganzen Nolde zu zeigen: den Nolde mit seinen Höhen, mit seinen Tiefen, mit seiner großartigen Kunst, und auf der anderen Seite einen Menschen in seiner Zeit, mit seinen unterschiedlichen Entwicklungen, mit seiner Geisteshaltung, die wir heute verurteilen, aber wo wir auch berücksichtigen müssen, in welcher Zeit das Ganze gewesen ist. Da ist es mir ein großes Anliegen, dass wir nicht den moralischen Zeigefinger heben, sondern das Ganze aufrollen und letztendlich auch aus dieser Zeit heraus lernen. Was sagt uns Noldes Antisemitismus, den er in den 30er-Jahren aufgebaut hat zu dem Antisemitismus, wie er heute in Deutschland vorhanden ist? Da geht es für mich darum, dass sich die Menschen in der "noldischen" Kunst wiederfinden können, aber gleichzeitig sich selber und uns heute reflektieren.
Das Haus, in dem Sie ausstellen, hat für Nolde selbst eine große Rolle gespielt, er hat es selbst entworfen. Sie haben also bei der Sanierung des Hauses vielleicht ein bisschen in sein Werk eingegriffen, oder?
Ring: Wir haben eingegriffen, indem wir die Bauten, die nach Noldes Tod hinzukamen, wieder zurückgenommen haben. Mir war es ein großes Anliegen, dass wir insbesondere die äußere Gebäudehülle wieder in den Zustand zurückversetzen, wie es bei Noldes Tod gewesen ist. Und mir war es ein großes Anliegen, dass unsere Gäste Einblick in die Lebenswelt der Noldes bekommen, denn das Esszimmer und das Wohnzimmer mit den historischen Möbeln sind noch im Originalzustand vorhanden. Mir ging es darum, dieses Gesamtkunstwerk Seebüll, wo der Mensch gelebt, gearbeitet, wo er Gäste empfangen, wo er diesen wunderbaren Garten angelegt hat, wo er aber auch gestorben ist, in seiner Gänze freizuräumen, den Blick freizuräumen und diese frühere Schicht wieder offenzulegen.
Das Interview führte Julia Westlake.