Schülerinnen und Schüler fordern bessere politische Bildung

Stand: 08.02.2025 12:34 Uhr

Die ostdeutschen Schülervertretungen fordern mehr politische Bildung an den Schulen, da auch dort ein Rechtsruck zu spüren sei. Warum sind rechte Narrative bei Jugendlichen so erfolgreich?

von Charlotte Witt

Maja Zaubitzer gehört zu den ostdeutschen Schülervertretungen. Ihre Kritik: Schule schaffe es aktuell nicht, den Wert und die Funktion von Demokratie bei der Schülerschaft zu vermitteln. "Wenn wir mit unseren Mitschülern interagieren, merken wir, dass da immer mehr Leute irgendwelche sehr rechten Sachen sagen. Vielleicht auch ausländerfeindliche, aber auch bis zu extremen Sachen. Dass Hitlergrüße an Schulen gemacht, Hakenkreuze in die Tische, an die Wände geritzt werden, und immer mehr auch Feindlichkeit untereinander stattfindet."

Jetzt haben die sechs Schülervertretungen Ostdeutschlands ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht, in dem sie die Politik dazu auffordern, schnell zu handeln. Es bestehe eine dringende Notwendigkeit, dem Verfall demokratischer Werte entgegenzuwirken. "Extremistische Narrative schließen die Lücke, die mangelnde politische Bildung hinterlässt," heißt es in dem Papier. "Ich beobachte oft, dass unreflektiert gewisse Parolen nachgesprochen werden", erzählt die Geschichtslehrerin Kathrin Schröder, "dass gewisse Trends da sind, die einfach so ein Sympathisieren mit solchen Parteien, die sich eher am rechten Rand befinden, durchaus unter den Jugendlichen gegeben sind. Wir haben selbst Migrantenkinder aus Migrantenfamilien, die beispielsweise mit der AfD sympathisieren, ohne zu reflektieren, was das für Konsequenzen für sie haben könnte - und ihre Familien."

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Schülerinnen und Schüler von der Bildungspolitik im Stich gelassen?

Besonders durch die Sozialen Medien, durch Plattformen wie Instagram oder TikTok, werden viele Jugendliche durch Parteien direkt adressiert. Gerade die AfD erzielt dort enorme Reichweite. Dass das Einfluss auf die politische Willensbildung hat, zeigt eine repräsentative Jugendwahlstudie von 2024 des Instituts für Generationenforschung. Von den Jungwählern, die die AfD wählten, gaben 52 Prozent Social Media als Hauptinformationsquelle an.

Populismus und Desinformationen, mit diesen Herausforderungen würden die Schülerinnen und Schüler von der Bildungspolitik im Stich gelassen, heißt es in dem Papier. Dabei steht die Vermittlung von Medienkompetenz längst in den Lehrplänen. Warum passiert da zu wenig? Steffen Wendlik, Vorsitzender des Verbands der Geschichtslehrerinnen- und lehrer in Sachsen-Anhalt erklärt, dass das Problem vielschichtiger ist: "Es bestehen Fortbildungsangebote und es gibt aus meiner Sicht auch einen enormen Fortbildungsbedarf. Und auf der anderen Seite haben wir natürlich eine neue Situation, von der man Woche für Woche in der Zeitung lesen kann, was den Mangel an Fachpersonal an Schulen betrifft. Aber mit dem verstärkten Blick auf Unterricht, Unterrichtsversorgung, Unterrichtsausfall gerät möglicherweise außer Acht, dass Schule mehr ist als Unterricht." - Und dass diese immer mehr leisten muss, vor allem mit Blick auf die multiplen Krisen unserer Zeit und die Zukunftsängste der Jugend.

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Deutlicher Weckruf der ostdeutschen Schülervertretungen

Mehr Praxisnähe, mehr Stunden, mehr Workshops und Planspiele wie "Model United Nations" fordern die Schülervertretungen, damit Demokratie erlebbar wird. Das heißt auch, die Stimme der Schülerinnen und Schüler zu hören, sagt Maja Zaubitzer von der Landesschülervertretung Thüringen: "Auf ganz vielen Schulen ist die Schülervertretung irgendwie nur im Hintergrund aktiv. So richtig interessiert sich keiner für die Meinung der Schülerinnen. Und das ist was, wo wir ran müssen. Denn wenn Jugendliche und auch allgemein die Menschheit Selbstwirksamkeit erfährt und merkt: Okay, das, was ich mache, das hat wirklich Anklang! Dann vertrauen Leute natürlich auch viel mehr in die Demokratie. Und das ist ja das, was wir am Ende erreichen wollen."

Schule als Ort, um die Werte einer Gesellschaft zu vermitteln? Dabei ist der sogenannte Beutelsbacher Konsens bis heute der berufsethische Grundsatz für Lehrkräfte. Er legt fest, dass Kinder und Jugendliche nicht mit Meinungen "überwältigt", oder an der "Gewinnung eines selbständigen Urteils" gehindert werden dürfen, erklärt Seffen Wendlik: "Das heißt aber nicht, dass für Lehrer ein Neutralitätsgebot besteht. Keinesfalls. Wir sind ja dafür da, die Werte des Grundgesetzes zu vermitteln. Und da sehe ich schon Reserven, dass man sich dazu deutlicher bekennen muss und nicht nur im Geschichtsunterricht." Und Maja Zaubitzer fügt noch an: "Es fehlt eine Demokratiebildung. Wir haben halt einfach zu wenig Zeit im Unterricht. Bis eine Lehrkraft tatsächlich sagt: Hey, wir arbeiten vielleicht mal die Wahlprogramme durch, wir schauen uns an, was Pro und Contra ist und was tatsächlich gemacht werden kann. Was ist eine Utopie? Dafür reicht die Zeit überhaupt nicht."

Was heute in den Klassenzimmern passiert, entscheidet über die Gesellschaft von morgen, appellieren die Schülervertretungen. Deutlicher kann ein Weckruf wohl kaum sein.

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