Recycling für Konzertflügel: Die Hamburger Klangmanufaktur
Steinway ist Marktführer im Spitzensegment der Flügel. Egal wo auf der Welt man einen aktuellen Steinway spielt, man weiß, was man bekommt. Dass dabei allerdings die individuelle Aura und der besondere Charakter im Klang verloren gehen können, beweist eine Manufaktur in Hamburg-Hammerbrook.
Es ist trist im Industriegebiet zwischen Hamburg-Hauptbahnhof und Elbe, besonders an einem diesigen Dezemberabend. Die Pommesbuden für LKW-Fahrer schließen, die ersten Prostituierten beziehen ihre Positionen. Der Konzertflügel, der da einsam im Glasfoyer eines Zweckbaus in der Wendenstraße steht, passt nicht ins Bild. "Klangmanufaktur" steht auf dem Notenpult. Drei Etagen rauf und die Aufzugtür öffnet sich in eine andere Welt. Es duftet nach Holz, nach Schellack, der Schmirgelstaub des Arbeitstages liegt noch in der Luft. Die Klangmanufaktur ist auch eine Schreinerei.
Die Klavierbauer schaffen empathische Instrumentenwesen
Der Hamburger Pianist Alexander Krichel gehört zum internationalen Klavierzirkus, im Januar und Februar geht es nach China. Heute spielt er sich auf einem seiner Lieblingsinstrumente ein: Klangmanufaktur Steinway Nr. 21. Später gibt er hier ein Konzert für Freunde und Familie. Er habe das Gefühl, dass dieser Flügel die mechanische Brillanz und Perfektion habe und auf der anderen Seite dennoch diese alte Seele, dieses alte Holz. "Irgendetwas hat das. Irgendetwas schwingt da mit. Wenn ich dann alles gebe, dann macht er das mit mir mit. Wenn ich dann sehr lyrisch und sehr leise spielen möchte, dann macht er das auch." Er habe das Gefühl, der Flügel habe unfassbar viel Empathie.
90 Jahre hat dieses Instrument in einem Konzerthaus seinen Dienst getan, bevor es als nicht mehr spielbarer Flügelgreis nach Hammerbrook gekommen ist. Seit fast neun Jahren werden hier alte Flügel, entkernt, entlackt und technisch komplett erneuert - um dann zu klingen wie ein neues Instrument? Keinesfalls! "Fabrikneue Steinways, denen ist ja noch nichts passiert im Leben," ist sich Alexander Krichel sicher. Und irgendwie sauge dieses Holz die Energien oder den Klang auf. Ein Phänomen das man von Violinen kennt. Die besten und teuersten Geigen von Antonio Stradivari sind nun mindestens 300 Jahre alt. Bei Konzertflügeln galt für lange Zeit nur neu als hochwertig. Zu sehr leidet durch die Belastungen das mechanische Innenleben der Instrumente.
Antike Hölzer schaffen strahlenden Klang
Klangmanufaktur Geschäftsführer Oliver Greinus hatte, als er noch Konstruktionsleiter bei Steinway in Hamburg war, die Idee: Könnte man nicht neue Mechanik in das alte Holz bauen? "Wenn Holz alt wird und spröde, dann härten die Weichmacher in den Zellen aus." Mehr Festigkeit führe zu besserem Schwingungsverhalten sagt Oliver Greinus. Klar, ein Backblech schwingt besser als ein Schaumstoffkissen: "Eine Richtgröße dafür heißt 'innere Dämpfung', und die innere Dämpfung von gealtertem Resonanzbodenholz ist geringer als die von frischem Holz. Das ist die Tugend, auf der wir aufbauen, dass wir mehr Energie zur Verfügung haben." Dahinter steht für Oliver Greinus auch eine Geschäftsidee: Flügel, die ausgemustert werden, sind kaum mehr zu verkaufen.
Viel zu oft wird deshalb das edle Holz verschrottet. Einmal komplett aufgearbeitet haben die Instrumente wieder einen Wert. Den Besitzern bietet man eine kleine Rendite, Konzerthäuser, Hochschulen Studios oder einzelne Pianisten können die Instrumente mieten.
Alexander Krichel hat den Flügel Nr. 21 extra nach Berlin verfrachten lassen, um sein Rachmaninoff-Album aufzunehmen: "Ich finde dieses Wort silbrig eigentlich sehr passend. Die Schwierigkeit für Pianisten ist ja, dass sie nur diesen kurzen Moment haben, um den kompletten Klang zu erzeugen. Der Ton muss strahlen, ohne hart zu sein. Da muss viel Licht in einem Klang sein und gleichzeitig Wärme." Das funktioniere bei diesem Flügel außerordentlich gut.
Letzter Schliff am Klangkunstwerk
Bevor ein Tastenkünstler wie Alexander Krichel tätig werden kann sind die Klang-Kunsthandwerker gefragt. Lotte Marder ist Gesellin in Hammerbrook, sie legt gerade letzte Hand an an das Instrument mit der Serien-Nummer 188. Auch dieser Flügel, Baujahr 1909, kam in fragwürdigem Zustand in die Manufaktur. "Der sah sehr scheckig aus. An dem wurde schon viel gemacht und der hatte so einen komischen Lack drauf, den wir intensiv runter ätzen mussten."
Drecksarbeit, die nun schon Wochen zurück liegt, jetzt geht es um Feinschliff. In drei Tagen wird das Instrument ausgeliefert. Lotte Marder hat ihre Ausbildung in Göttingen gemacht, dies ist der erste historische Flügel, dessen Metamorphose sie komplett erlebt. Der schönste Moment im Klavierbauerinnenberuf sei: "Wenn die Kunden am Ende zur Abnahme kommen, denn Flügel vollendet sehen. Wie erstaunt die oft sind, über die Wandlung, wenn die das erste Mal darauf spielen und wissen, das ist das Instrument, das sie sich ausgesucht haben."
Die Sünde des schwarzen Lacks
Moderne Konzertflügel wirken wie schnittige Sportwagen, elegant, abgerundete Kanten, tiefschwarzer Polyesterlack, meist in Hochglanz poliert. Lack, der wie ein Plastikpanzer wirke, meint Klavierbauer und Geschäftsführer Oliver Greinus. In der Klangmanufaktur arbeitet man zeitaufwendig mit Schellackpolitur, man wachst, man ölt, legt Maserung von Nussbaum oder historischem Rio-Palisaner frei. Holz, das heute gar nicht mehr verfügbar wäre. Wer hier den seit Jahren serienmäßigen "dickschichtigen Klavierlack" nur in Erwähgung zöge, würde von Gründer Oliver Greinus vermutlich in den nächstgelegenen Elbe-Kanal geworfen. "Wenn man bei einem fertigen Flügel den Polyesterlack entfernt, ist der akustische Effekt so, als zöge man einen Schleier vom Klang weg, es wird alles konturenschärfer, es wird alles prägnanter, der Informationsgehalt des Klangs steigt, es wird subtiler. Wenn man das einmal gehört hat, mag man diesen Lack nicht mehr."
Schönstes Flügelbauergarn? Wer weiß. Hier wird wie längst auch in der Musik und unter Musikern eine Erzählung freigelegt. Die Erzählung eines alten Instruments. Der älteste in Hamburg-Hammerbrook restaurierte Flügel stammte aus dem Jahr 1877. Franz Liszt hätte noch auf ihm spielen können. Ein bisschen mehr von seiner Geschichte erzählt das Instrument vielleicht im nächsten Konzert.