Rassismus: "Was können wir tun, damit das Schlimmste nicht eintritt?"
Nachdem ihre Söhne einen rassistischen Übergriff erleben mussten, haben sich die beiden Autorinnen Sharon Dodua Otoo und Tupoka Ogette mit einem Social-Media-Post an die Öffentlichkeit gewandt.
Mit dem Aufruf "Call to Action" fragen die beiden Mütter öffentlich, wie sie ihre Kinder schützen und wappnen können. Mehr als 30.000 Menschen haben den entsprechenden Post in den vergangenen zwei Tagen geliked.
Frau Otoo, bitte schildern Sie uns noch einmal kurz, was die beiden Jungen erleben mussten.
Sharon Dodua Otoo: Das sind ganz normale Schuljungs, die für gewöhnlich nach der Schule zusammen mit der S-Bahn nach Hause fahren. In der S-Bahn wurden sie erst von zwei älteren weißen Jungs komisch angestarrt. Unsere Kinder haben sie dann darauf angesprochen und gefragt, was los ist, warum sie sie anstarren. Darauf kam dann eine komische Bemerkung. Und kurz bevor die weißen Jugendlichen aus der S-Bahn ausgestiegen sind, haben sie in die Haare von meinem Sohn gegriffen und die beiden jüngeren Kinder angespuckt. Das hat meinen Sohn natürlich sehr verletzt und er war ziemlich wütend.
Wie haben Sie danach mit ihrem Sohn darüber gesprochen? Wie haben Sie im versucht zu erklären, was da passiert ist - wenn man das überhaupt erklären kann?
Otoo: Ich habe es nicht versucht zu erklären. Ich glaube, das ist nicht zu erklären. Ich habe den Ansatz gehabt, erst mal einfach für ihn da zu sein und ihm zuzuhören. Ich hatte Glück, dass ich an dem Tag zuhause war - ich arbeite von zu Hause und hatte keine Termine. Deswegen war ich komplett da und habe einfach zugehört. Er hat mir signalisiert, dass er erstmal seinen Frust rauslassen wollte und dann wollte er sich ablenken. Das war okay für mich. Aber ich habe ihm für den Rest des Tages und die Tage danach Angebote gemacht, dass er, wenn er möchte, mit mir darüber reden kann.
Was war dann für Sie ausschlaggebend, zusammen mit Tupoka Ogette mit dem "Call to Action" an die Öffentlichkeit zu gehen?
Otoo: Tupoka und ich, wir sind beide Menschen, die sich in der Öffentlichkeit bewegen - Tupoka sogar zum Thema Rassismus und Rassismuskritik. Wir wussten, dass wir eine besondere Verantwortung dadurch haben, dass wir öffentliche Personen sind. Das ist eine Angelegenheit, die für uns nicht nur privat zu verorten ist. Es geht nicht nur darum, dass das unseren beiden Kindern passiert ist, sondern wir wissen durch unsere Arbeit und unsere eigene Erfahrung, dass das ein Thema ist, das viel mehr Menschen betrifft. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Tupoka und ich haben die Möglichkeit, durch unsere Reichweite etwas in dieser Öffentlichkeit zu machen, zum Beispiel dass ich im Radio ein Interview geben darf. Wir haben uns entschieden, unseren Mut zusammenzufassen und Worte zu finden für diesen Vorfall, aber auch den "Call to Action" zu schreiben.
Die Resonanz auf diesen Social-Media-Post ist riesengroß. Was genau erhoffen Sie sich im besten Falle davon?
Otoo: Was wir uns gewünscht haben, ist, dass erstmal unseren Kindern signalisiert wird, dass sie nicht allein sind. Nicht nur unseren, sondern auch weiteren Kindern, die auch solche und zum Teil noch schlimmere Erfahrungen machen, die aber nicht diese öffentliche Reichweite genießen. Dass sie auch ein bisschen von der Solidarität abbekommen, die wir gerade erfahren. Wir haben auch gehofft, dass wir die Aufmerksamkeit auch auf andere Organisationen lenken können, die wahnsinnig gute Arbeit in diesem Bereich machen - ein paar haben wir auch in diesem Post aufgelistet. Wir haben uns vor allem auch erhofft, dass wir Menschen, die das Gefühl haben, dass sie nicht von dieser Art der Diskriminierung betroffen sind, lesen und merken, dass dieses Thema sie doch angeht und dass sie auch eine Verantwortung haben, wenn sie zum Beispiel in der S-Bahn Kinder sehen, die von Diskriminierung betroffen sind, und notfalls laut werden.
Rassismus könnte entschärft werden, wenn Menschen, die das mitbekommen, sich sofort einmischen und nicht passiv bleiben. Ist auch hier eine Art Empowerment nötig?
Otoo: Genau. Ich sagte dazu immer: Handlungsmöglichkeiten aufzeigen oder handlungsfähig werden. Ich kenne das von mir selber, dass ich manchmal in so eine Art Schockstarre verfalle, wenn ich mich mit einem Thema nicht auseinandergesetzt habe, wenn etwas vermeintlich zum ersten Mal vor meinen Augen passiert und ich nicht weiß, wie ich darauf reagieren soll. Und mit diesem Post wollen wir dazu anregen, vorher darüber nachzudenken, sich diese Fragen zu stellen: Wie ist es, im öffentlichen Raum unterwegs zu sein? Wer kann sich in öffentlichem Raum frei bewegen? Wer muss eher darüber nachdenken, um wieviel Uhr oder wohin er oder sie alleine hinfahren kann? Das sind Fragen, die sich viele Menschen in der Regel nicht stellen - und mit unserem Post wollten wir sagen: Lasst uns gemeinsam anfangen, darüber nachzudenken.
Gestern ist eine Studie herausgekommen mit dem Ergebnis, dass rechtsextreme Einstellungen deutlich zugenommen haben. Wie sollten wir als Gesellschaft dieser Entwicklung begegnen?
Otoo: Für mich als Schwarze Person in Deutschland, die auch Umgang mit anderen marginalisierten Personen hat, zum Beispiel Menschen, die von Antisemitismus oder antimuslimischem Rassismus betroffen sind, aber auch queeren Personen, sind das alles Sachen, die nicht neu sind. Die Erstarkung der AfD, wir blicken mit Sorge in Richtung Nordhausen, was da am Wochenende passieren wird - das sind Sachen, die für uns eigentlich nicht neu sind. Wir wünschen uns weniger so eine Art: "Das wird schon gut gehen", und mehr: "Was, wenn es nicht gut gehen wird? Was können wir jetzt schon tun, damit das Schlimmste nicht eintritt?"
Das Interview führte Philipp Cavert.