Was ist eigentlich "antimuslimischer Rassismus"?
Auch in diesem Jahr fand die Aktionswoche gegen antimuslimischen Rassismus statt. Was aber können solche Aktionswochen bewirken? Einschätzungen dazu von unserer Gastautorin Canan Topçu.
An den 1. Juli 2009 erinnere ich mich sehr gut. Es war der Tag, an dem in Dresden eine junge Frau im Gerichtsgebäude ermordet wurde - von dem Mann, gegen den sie aussagen sollte, weil er sie auf einem Spielplatz als Islamistin und Terroristin beschimpft hatte. Die junge Frau, eine aus Ägypten stammende 32-Jährige, war als Muslima erkennbar; sie trug ein Kopftuch. Eben das schien den Täter provoziert zu haben.
An die Ermordung von Marwa El-Sherbini erinnere ich mich aus mehreren Gründen. Erschreckend fand ich es, dass ein Angeklagter mit einem Messer das Gerichtsgebäude hatte betreten können. Erschreckend auch, dass der Tod dieser jungen Muslima von deutschen Medien zunächst kaum beachtet und wenn, dann als Ausländerhass abgetan wurde. Erschreckend war, dass das Motiv anfangs nicht als das eingeordnet wurde, was es war: Hass auf Muslime. Ich erinnere mich an die Diskussionen mit Kollegen der Zeitung, bei der ich damals arbeitete, damit mehr über den Mord an Marwa El-Sherbini und die Motive des Täters berichtet wurde.
Ein fragliches Konzept
Nach diesem Mord wurde der 1. Juli von Bürgerrechtsbewegungen und muslimischen Organisationen zum internationalen Tag gegen antimuslimischen Rassismus ausgerufen und es findet um dieses Datum herum bundesweit die Aktionswoche gegen antimuslimischen Rassismus statt. Sie soll nach Angaben der Veranstalter das "Bewusstsein dafür schärfen", menschenfeindlichen Denk- und Verhaltensweisen entgegenzuwirken sowie die Werte einer offenen und toleranten Gesellschaft zu schützen. Im vergangenen Jahr gab es laut Bundesinnenministerium rund 950 antimuslimisch motivierte Taten, die Dunkelziffer wird auf das Achtfache geschätzt. Die Zahlen verdeutlichen: Sensibilisierung und Aufklärung ist notwendig. Es ist nur leider so, dass kaum jemand, der sich nicht ohnehin mit Rassismus auseinandersetzt, etwas von dieser Aktionswoche mitbekommt - und wenn, dann sorgt der Begriff für Irritationen oder stößt auf Unverständnis.
Auch ich kann mit dem Begriff "antimuslimischer Rassismus" wenig anfangen; halte nichts von dieser allzu akademischen Bezeichnung. Zweifelsohne gibt Feindschaft gegenüber Muslimen, und diese mündet in Gewalt gegen Menschen und Moscheen. Der Begriff ist jedoch sehr verwirrend - wie ich in diesem Semester wieder einmal in Diskussionen mit meinen Studierenden feststellen konnte. Sie verstehen nicht auf Anhieb, warum die negative Einstellung gegenüber Muslimen mit Rassismus gleichgesetzt wird.
Anfreunden kann ich mich weder mit dem Begriff noch mit dem Konzept, eine Woche lang daran zu erinnern, dass in diesem Land Muslime und Menschen, die als solche wahrgenommen werden, verbale und körperliche Gewalt erleben; was passiert dann die restlichen 51 Wochen des Jahres?
Fehlende Bereitschaft zur Selbstreflexion
Die einen hassen Juden, andere haben was gegen Muslime, andere wiederum was gegen Schwarze. Der Hass zielt auf unterschiedliche Gruppen, die Grundhaltung ist aber die gleiche: sich über andere zu erheben, sich das Recht herauszunehmen, andere zu entwerten, zu verachten, zu diskriminieren, zu hassen, zu beschimpfen, zu bespucken, anzugreifen und sogar zu ermorden.
Aus der Psychologie und der Verhaltensforschung ist bekannt, dass Grundannahmen nicht so leicht abzulegen sind. Es erfordert Arbeit an sich selbst, das Denken umzucodieren und sein Verhalten zu ändern ist nicht mal eben so zu schaffen. Wer "eingebrannte" Vorurteile hat und sich von Hass leiten lässt, der muss bereit zur Selbstreflexion sein. Wer von den Hardcore-Hatern ist das aber schon? Sie suchen doch aus der Flut an Informationen die raus, die ihre Annahmen und ihren Hass bestätigen und nicht etwa die, die ihn in Frage stellen.
Es bedarf anderer Konzepte
Um Vorbehalten und Vorurteilen, Diskriminierung und Hass entgegenzuwirken, bedarf es anderer Konzepte. Konzepte, die viel früher ansetzen, damit der Kreislauf von Hass und Gewalt gegen vermeintlich Andere und Andersgläubige unterbrochen wird.
Elternhaus, Kindergarten, Schule und Universitäten - das sind die Orte und Institutionen, in denen Wissen vermittelt und Empathie erlernt werden können; Empatisch zu sein und sich - ausgestattet mit Wissen - selbst zu reflektieren, ist Voraussetzung dafür, Hass auf andere zu bändigen.