Nach der Wahl in Österreich: Ist die Kunstfreiheit in Gefahr?
Bei der Nationalratswahl in Österreich ist die rechtspopulistische FPÖ laut vorläufigem Endergebnis stärkste politische Kraft. Damit sind für viele Kulturschaffende die Befürchtungen der letzten Tage wahr geworden - auch für Kay Voges, den Intendanten des Volkstheaters Wien.
Vor der Wahl hat Kay Voges eine Ankündigung gemacht: Sollte Herbert Kickl die Wahl gewinnen, würde man das Haus in "Deutsches Volkstheater" rückbenennen. So hieß das Theater bei seiner Gründung 1889 zu Zeiten der Donaumonarchie. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es zum "Wiener Volkstheater".
Herr Voges, worauf wollten Sie mit dieser Aktion hinweisen?
Kay Voges: Wir haben uns mit dem Wahlprogramm der FPÖ auseinandergesetzt, und dort steht drin, dass Sprache, Geschichte und Kultur Österreichs deutsch sind. Wir haben nachgeforscht, was das für die FPÖ bedeutet, die ja eigentlich aus der Waffen-SS heraus entstanden ist. Wir haben den Gedanken weitergesponnen und gesehen, wie viel Affinität in dieser Partei immer noch zu deutsch-nationalistischem Gedankengut ist. Wir konnten das letzten Freitag bei einer Beerdigung eines ehemaligen FPÖ-Mitglieds sehen, dass dort alte SS-Lieder von FPÖ-Mitgliedern gesungen worden sind oder "Heil fürs Deutsche Reich" gepriesen wurde. Wir haben gedacht: Das ist bitter. Wäre das nicht der Alptraum, wenn das "Wiener Volkstheater" zum "Deutschen Volkstheater" werden würde? So haben wir die provokante Idee in die Welt gebracht, um ein bisschen darauf aufmerksam zu machen, was kommen könnte.
Sie haben eine weitere provokante Aktion draufgesetzt, nämlich ein Musikvideo, das den FPÖ-Wahlslogan "Euer Wille geschehe" im Titel zitiert. Worum geht es da?
Voges: "Euer Wille geschehe" - das ist ein Wahlplakat-Spruch von der FPÖ gewesen. Wir haben mit einer Band, "Die Hitlers", ein Punkrock-Video hergestellt, in dem sich die Musiker über das Wiedererstarken der Rechten freuen. Diese bitterböse Satire ist leider wahr geworden.
Wie geht es Ihnen heute damit? Welche Auswirkungen auf die Kulturpolitik befürchten Sie jetzt?
Voges: Es war schon ein Schock. Wir hatten gestern eine schöne Wahlparty: 700 Menschen haben sich im Volkstheater anderthalb Stunden Gedanken über die Gegenwart gemacht. Wir haben Musikacts und Talkgäste eingeladen und dann gemeinsam die ersten Hochrechnungen angeschaut. Dann war es doch recht still im Saal, und meine Betroffenheit war zu spüren. Wien ist ja bekannt als das "rote Wien"; hier ist die Mehrheit schon bei der FPÖ zu Hause. Nun wird es spannend werden, wie man koalieren wird. Es ist eine ähnliche Situation, wie man sie zurzeit in Thüringen sieht. Wir haben eine dem Rechtsextremismus nahestehende Partei als stärkste Partei, und jetzt ist die Frage: Wie sehen die Koalitionen aus? Wird die Demokratie weiterhin das Land regieren, oder wird man sich mit den Rechten in ein Boot setzen?
Wenn so viele Menschen FPÖ gewählt haben, dann müssen die natürlich auch vorher schon da gewesen und auch in Ihr Theater gekommen sein. Haben Sie gemerkt, dass sich im Publikum etwas verändert? Dass die Menschen vielleicht wieder konservativer denken?
Voges: Hier in der Hauptstadt polarisieren sich die Gruppen sehr. Im Volkstheater, was seit Jahrzehnten auch als ein Gewerkschaftstheater bekannt ist, haben wir schon ein sehr sozialdemokratisches Publikum. Aber man merkt, dass die Kämpfe in den Medien zwischen extrem konservativ und reaktionär und progressiv, offen und demokratiewillig laut geführt werden.
Auch am Wiener Burgtheater haben einige Künstlerinnen und Künstler zum Widerstand aufgerufen. Welche Art von Widerstand können Kulturschaffende jetzt leisten?
Voges: Es geht darum, humanistische und demokratische Werte weiter hochzuhalten, sie zu erzählen, sie zu diskutieren und eine Gegenwartsbetrachtung stattfinden zu lassen, die auf dem Boden des demokratischen Denkens stattfindet. Wir werden weiterhin Formate machen, wie zum Beispiel unsere "Gegenwartskunde", wo wir monatlich über die jüngsten politischen Ereignisse berichten, aber auch mit unseren Zuschauerinnen und Zuschauern diskutieren. Vielleicht ist das politische Theater, was unsere Gegenwart reflektiert und diskutiert, wichtiger denn je zuvor.
Es könnte auch der Kunstfreiheit an den Kragen gehen. In der Slowakei wurde gerade der Generaldirektor des Nationaltheaters von einer Ministerin abgesetzt, die gesagt hat, sie möchte den "Genderwahn" durch nationale Kultur ersetzen. Halten Sie so etwas auch in Österreich für möglich?
Voges: Die Gefahr steht im Raum, und wenn es wirklich so weit kommt, dass die FPÖ den Kanzler stellen darf und die ÖVP mit der FPÖ koaliert, dann ist die Gefahr wirklich real. Die Umgestaltung der Kulturlandschaft wurde von der FPÖ angedroht. Ich hoffe, dass die demokratischen Kräfte in der ÖVP stark genug sind, dass sie nicht mit der FPÖ koalieren und dass wir vielleicht sogar mit einer großen Koalition - ÖVP und SPÖ - einen neuen Schwung in die Republik bekommen. Ich bin noch hoffnungsfroh, dass die Koalitionsverhandlungen gut laufen, aber wir sehen, wie ernst diese Gefahr ist, dass Nationalisten die Vormachtstellung gewinnen.
Das Gespräch führte Julia Westlake.