Missbrauchsvorwürfe gegen Ex-Mitarbeiter: EKD-Chefin Kurschus tritt zurück
Der Druck auf die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Annette Kurschus, war groß. Auslöser waren Missbrauchsvorwürfe gegen einen Ex-Kirchenmitarbeiter in Siegen. Nun ist Kurschus zurückgetreten.
Annette Kurschus gab am Montag in Bielefeld bekannt, dass sie neben ihrem Amt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland auch ihre Aufgabe als Präses der Evangelischen Kirche in Westfalen aufgebe. In der Sache sei sie aber mit sich im Reinen.
Kurschus soll einem Bericht der "Siegener Zeitung" zufolge bereits früh über Missbrauchsvorwürfe gegen einen nun unter dem Verdacht von Straftaten stehenden ehemaligen Kollegen im Kirchenkreis Siegen informiert worden sein. Sie soll demnach allerdings nichts unternommen haben. Die Theologin sagte, sie sei mit der Familie des Mannes befreundet. Sie habe etwas von der homosexuellen Neigung des mit einer Frau verheirateten Mannes und von dessen ehelicher Untreue mitbekommen, nichts aber von möglichen Missbrauchstaten. Es sei ihr niemals darum gegangen, einen Beschuldigten zu decken.
Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs wird kommissarisch Ratsvorsitzende
Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs wird kommissarisch Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie übernimmt das Amt sofort kommissarisch, wie die EKD am Montag mitteilte. Fehrs drückte ihren Respekt vor der Entscheidung von Annette Kurschus aus. Für den Rat der EKD verbinde sich mit dem Rücktritt von Annette Kurschus die Verpflichtung, den eingeschlagenen Weg bei Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt konsequent weiter voranzugehen.
Druck nach eindeutigen Rechercheergebnissen der "Siegener Zeitung"
Als die Vorwürfe in der vergangenen Woche gegen sie bekannt wurden, war Kurschus gerade auf einer Tagung der EKD, sprach dort zu den Anwesenden: "Ich prüfe mich intensiv: Habe ich was überhört, habe ich was übersehen? Gibt es da ein Missverständnis?"
Kurschus hatte bei ihrer Wahl zur Kirchenchefin 2021 versprochen, die von Missbrauch Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. Das solle Chefinnensache werden.
Doch dann kamen in den vergangenen Tagen die Recherchen der "Siegener Zeitung". Redakteur Tim Plachner hatte mit den Menschen gesprochen, die einem ehemaligen Kirchenmitarbeiter in Siegen Fehlverhalten vorwerfen. "Es gibt Schilderungen von Betroffenen, wo es um ganz konkrete sexuelle Handlungen geht, die vollzogen worden sind und das eben in einer Siegener Kirche."
Die Ratsvorsitzende stand seither unter Druck wegen der jahrzehntealten Missbrauchsvorwürfe gegen den ehemaligen Kirchenmitarbeiter.
Kurschus bestreitet, davon gewusst zu haben
In Siegen war Kurschus Ende der 1990er-Jahre Pfarrerin. Damals sollen ihr laut "Siegener Zeitung" ein Betroffener und drei andere Personen von sexuellen Verfehlungen berichtet haben. Kurschus bestreitet das, sagt, in Gesprächen sei nur die sexuelle Orientierung des Mitarbeiters Thema gewesen. Aber Redakteur Plachner liegen nach eigenen Angaben zwei eidesstattliche Versicherungen derjenigen vor, die damals das Gespräch mit Kurschus gesucht haben sollen.
"Also die Rede ist ganz klar von sexuellen Verfehlungen des heute Beschuldigten. Es ist auch die Rede gewesen von diesem Schüler-Lehrer-Verhältnis, dass man von einem Machtmissbrauch ausgeht. So ist uns das geschildert worden von den beiden Zeugen oder Informanten, die wir haben."
"Schlag ins Gesicht für Betroffene"
In Korntal bei Stuttgart engagiert sich Detlev Zander in der evangelischen Kirche für Aufarbeitung. Auch er wurde als Kind Opfer von sexualisierter Gewalt. Er und andere Betroffene befürchten, dass der Wirbel um die Ratsvorsitzende ihre Arbeit beschädigt.
"Wenn ich mich hinstelle und sage, ich mache dieses Thema zur Chefinnensache, und sie wird dann in so einen Skandal verwickelt, dann ist es einfach unglaubwürdig", sagt Zander. Für jeden einzelnen Betroffene, der das jetzt mitbekomme, sei das ein Schlag ins Gesicht.
Kerstin Claus, die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, findet, gerade die Kirchen müssten heutzutage offensiv und nicht zurückhaltend kommunizieren zum Wohl der Betroffenen.
"Alles, was dazu führt, dass ein Thema Tag für Tag immer wieder noch eine weitere Dimension bekommt, ist schädlich. Und es ist vor allem schwierig für Betroffene, die ein Recht darauf haben müssen, dass sachgerecht, schnell, transparent mit den Fragestellungen umgegangen wird."
Die Staatsanwaltschaft Siegen hat bisher keine Anklage gegen den Beschuldigten erhoben. Die Ermittlungen laufen weiter.
Mit Informationen von Christina Zühlke.