Stand: 08.11.2019 15:44 Uhr

Evangelische Kirche: Schwierige Aufarbeitung

von Michael Hollenbach

An diesem Sonntag kommt in Dresden die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammen. Auf der Tagesordnung steht auch das Thema "Sexualisierte Gewalt". Vor einem Jahr hatte die Synode einen Elf-Punkte-Plan zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt beschlossen. Michael Hollenbach hat nachgefragt, was sich bei den Protestanten seitdem getan hat.

"Diese Anlaufstelle hilft nicht"

Zu dem Elf-Punkte-Plan gehört die Einrichtung einer unabhängigen und zentralen Anlaufstelle für Betroffene. Diese gibt es seit dem 1. Juli. Der Heilbonner Verein "Pfiffigunde e.V." bietet unter dem Namen "help" eine solche Anlaufstelle an, bei der sich in den vergangenen Monaten 150 Anrufer gemeldet haben. Die Mitarbeiterinnen von "help" wollen zuhören und weiterhelfen. Man sei gut vernetzt mit den jeweiligen Anlaufstellen der Landeskirchen und könne entsprechend weiterlotsen.

Kerstin Claus © picture alliance / dpa
Kerstin Claus nennt die zentralen Anlaufstelle für Betroffene "eine Form der Telefonvermittlung".

"Es hakt schon als erstes beim Namen: help", kritisiert Kerstin Claus. Sie ist Mitglied des Betroffenenrates des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Mit Blick auf "help" sagt sie: "Diese Anlaufstelle tut nach allem, was ich weiß, gerade nicht das: Sie hilft nicht, sondern sie erfragt, in welcher Landeskirche sich welcher Fall ereignet hat. Und dann wird man an die Präventionsbeauftragten der jeweiligen Landeskirche verwiesen. So ist es - ich sage es mal ganz böse - eine Form der Telefonvermittlung."

Punkt eins des Elf-Punkte-Plans der EKD als Reaktion auf die sexualisierte Gewalt in der Kirche lautet: "Betroffene sind zu beteiligen. Ihre Erfahrung wird gebraucht bei allem, was im Bereich Aufarbeitung und Prävention neu auf den Weg gebracht wird." Doch das ist aus Sicht der Betroffenen zu wenig geschehen.

Begrenzte Unabhängigkeit

Schwierig scheint auch die Unterstützung der Betroffenen. Die fordern finanzielle und organisatorische Hilfe beim Aufbau einer unabhängigen Vernetzungsstruktur. Die Kirche hat Gelder zugesagt, aber wie die Finanzierung genau laufen soll, ist weiterhin offen.

Christoph Meyns, Landesbischof von Braunschweig © Landeskirche Braunschweig
Christoph Meyns ist Bischof der braunschweigischen Landeskirche.

Ein weiterer Kritikpunkt der Betroffenen: Die "unabhängigen Kommissionen" der Landeskirchen, die unter anderem über Entschädigungszahlungen entscheiden, seien eben nicht unabhängig. Christoph Meyns, Bischof der braunschweigischen Landeskirche, gehört dem "Beauftragtenrat der EKD zum Schutz vor sexualisierter Gewalt" an: "Im Bereich der Kirchen für Niedersachsen sind keine kirchlichen Mitarbeiter in dieser unabhängigen Kommission", sagt er. Allerdings besteht das dreiköpfige Gremium aus einem Pfarrer, einem Mitglied der evangelischen Landessynode und einem Richter, der Kirchenvorsteher einer Gemeinde ist.

So gesehen geht es der Kirche offenbar um Kontrolle und mit Blick auf bestimmte Bereiche nur um eine begrenzte Unabhängigkeit. Generell sind Betroffene wie Anselm Kohn von der Gruppe "Missbrauch in Ahrensburg" sehr misstrauisch: "Wie kann ich der Institution vertrauen, die diesen Missbrauch zugelassen hat? Die nicht konsequent gehandelt hat? In der damaligen Zeit nicht und in der Aufarbeitung nicht."

Forderung nach Entschädigungsleistungen

Ein anderer strittiger Punkt sind die Entschädigungszahlungen. Bisher gewähren die Landeskirchen einen einmaligen Betrag, wenn das Leid der Betroffenen anerkannt wird. Landesbischof Christoph Meyns erklärt: "Es geht nicht um die Frage, etwas entschädigen zu wollen - das können wir nicht. Es geht darum, Leid anzuerkennen und zu gucken, ob im individuellen Fall die Finanzierung von Therapieleistungen für den Betroffenen hilfreich ist oder nicht."

Kerstin Claus weist darauf hin, dass Betroffene oft ihr ganzes Leben unter den Folgen leiden: "Da ist es fast eine Bringschuld, dass Kirche für sich erkennt: Da haben wir etwas zu leisten, und das geht über die momentane individuelle Bedarfslage hinaus."

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz scheint da schon weiter. Eine externe Arbeitsgruppe hat Vorschläge für Entschädigungsleistungen erarbeitet. Nachdem der Skandal in der katholischen Kirche lange verdrängt und vertuscht worden sei, nutze man jetzt professionelle Unterstützung von außen, sagt Kerstin Claus: "Eine solche Professionalisierung würde ich mir auch im Rahmen der EKD wünschen. Dann würde dieses 'EKD redet über Betroffene', 'Betroffene reden selten mit der EKD oder den jeweiligen Landeskirchen' aufgebrochen werden, und es würde sich ein Dreieck ergeben mit externer Fachlichkeit und mit der Beteiligung von Betroffenen. Dann könnte ein Austausch auf Augenhöhe stattfinden."

Die falsche Studie?

Ein Jahr nach der Synode in Würzburg hat die EKD nun einen weiteren Aspekt des Elf-Punkte-Plans auf den Weg gebracht: Es wird eine wissenschaftliche Studie ausgeschrieben. "Das Ziel ist, die Faktoren herauszufinden, die dazu beitragen, dass so etwas passieren kann. Also die strukturellen Faktoren, für die wir als Kirche eine Verantwortung tragen und die wir auch gestalten können, um so etwas zu erschweren." Abgeschlossen werde die Untersuchung in vier Jahren, sagt Bischof Meyns. Für Kerstin Claus wird hier ohnehin die falsche Studie in Auftrag gegeben: "Aus Betroffenensicht wäre es deutlich sinnvoller gewesen, die Anstrengungen zunächst in diese Dunkelfeldstudie zu legen. Denn erst wenn ich weiß, in welchem Ausmaß sexuelle Gewalt auch in der Evangelischen Kirche vorgekommen ist, sehe ich, dass die Evangelische Kirche mit vergleichbaren Problemen kämpfen wird wie die katholische Kirche."

Die EKD stellt sich nun den Forderungen der Betroffenen: Auf der EKD-Synode, die am Sonntag in Dresden beginnt,  wird Kerstin Claus eine Rede halten. Und in zehn Workshops werden sich die Kirchenparlamentarier mit den Folgen sexualisierter Gewalt auseinandersetzen.

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NDR Info | vertikal horizontal. Glaubens- und Gewissensfragen | 10.11.2019 | 07:05 Uhr

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