Mischa Maisky: "Ich fühle mich als Weltbürger"
Mischa Maisky ist seit vielen Jahrzehnten einer der besten Cellisten der Welt. Zu seinem 75. Geburtstag hat er vier Konzerte beim Schleswig-Holstein Musikfestival gespielt. NDR Kultur hat mit ihm über sein Leben und seine Karriere gesprochen.
Herr Maisky, Sie haben ein bewegtes Leben mit Stationen in vielen verschiedenen Ländern hinter sich, wo fühlen Sie sich zuhause?
Mischa Maisky: Ich fühle mich eigentlich als Weltbürger. Ich bin sehr kosmopolitisch. Ich wurde in Lettland geboren, das damals zur Sowjetunion gehörte. Ich bin dann in Russland aufgewachsen und ausgebildet worden. Dann ging ich nach Israel und habe anschließend den Großteil meines Lebens in Europa gelebt. Ich fühle mich sehr europäisch: Ich spiele ein italienisches Cello, mit einem französischen Bogen, deutschen Saiten, ich fahre ein amerikanisches Auto, ich habe eine Uhr aus der Schweiz, eine Kette aus Indien, vier meiner sechs Kinder sind in unterschiedlichen Ländern auf die Welt gekommen, weil ich so viel reise. Grundsätzlich fühle ich mich überall dort zuhause, wo die Menschen großartige klassische Musik genießen.
Sie reisen sehr viel, haben Sie auf Ihren Reisen eine strenge Routine?
Maisky: Ich reise eigentlich zu viel. Man muss flexibel bleiben. Die Abläufe sind doch immer sehr unterschiedlich. Oft proben wir und spielen am selben Tag noch das Konzert - das ist auch nicht immer einfach. Mal wird es sehr spät, dann steht man früh wieder auf. Das ist wirklich nicht so glorreich, wie man sich das so vorstellt. Aber wenn man etwas tun darf, was man sehr liebt und genießt und dann auch noch das Glück hat, gut genug zu sein, um diese Leidenschaft mit Millionen von Menschen zu teilen, dann entschädigt das doch für all die Opfer.
Manche Menschen nehmen auf Reisen ja einen Therapie-Hund mit. Sie haben immer Ihr Cello an Ihrer Seite, warum?
Maisky: Tja, ohne mein Cello bin ich mehr oder weniger nutzlos (lacht). Bis auf für meine sechs Kinder natürlich. Die brauchen und lieben mich auch ohne mein Cello. Mein Cello ist natürlich immer bei mir. Dieses Jahr feiern wir sozusagen 50-jähriges Jubiläum. Vor 50 Jahren haben wir uns zum ersten Mal gesehen - und die Liebesgeschichte geht hoffentlich noch viele Jahre weiter. Natürlich muss ich mich um dieses sehr wertvolle, über 300 Jahre alte Instrument sehr gut kümmern. Das ist gerade beim Reisen nicht so einfach, ich muss zum Beispiel immer einen extra Sitz im Flugzeug buchen. Ein Cello kann man nicht online einchecken. Das ist manchmal schwierig - aber es ist, wie es ist.
Sie erwähnen Ihre Kinder oft. Sie sind offensichtlich ein stolzer Papa?
Maisky: Auf jeden Fall! Ich zeige Ihnen gleich mal ein paar Fotos, dann verstehen Sie auch warum. Das beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe, sind meine Kinder. Ich bin ein sehr reicher Mann: Ich habe sechs Kinder. Bach hat sechs Suiten fürs Cello geschrieben, ich habe sechs Kinder. Ich versuche allerdings nicht, es mit Bach aufzunehmen. Er hatte 20 Kinder. Und es kann sowieso niemand mit Bach aufnehmen, egal worum es geht.
Wie bekommen Sie das unter einen Hut: viel unterwegs zu sein und Ihre Kinder großzuziehen?
Maisky: Das ist wirklich schwierig. Die richtige Balance zu finden, ist vermutlich die größte Herausforderung in meinem Leben. Alle meine Kinder machen Musik und zum Glück sind die drei älteren auch professionell dabei. Wir stehen dann auch regelmäßig gemeinsam auf der Bühne. Auch beim Schleswig-Holstein Musik Festival werde ich mit dreien meiner Kinder gemeinsam auf der Bühne stehen.
Sie sind ja ein bisschen wie die Kelly Family der klassischen Musik!
Maisky: Soweit würde ich nicht gehen - aber es ist wirklich ganz großartig. Es war mein Lebenstraum, der nun wahr geworden ist.
Bei Ihnen zuhause gibt es bestimmt immer viel Musik!
Maisky: Auf jeden Fall - aber nicht nur. Es sind auch immer viele andere Dinge bei uns los (lacht).
Sie leben jetzt in Belgien, was gefällt Ihnen daran?
Maisky: Es gibt eine gute internationale Schule für meine Kinder. Es ist sehr zentral, gut zum Reisen. Ursprünglich bin ich dort wegen meiner besten Freunde hingezogen, es war eine spontane Entscheidung, wir haben ein schönes Haus am See gefunden. Mittlerweile finde ich, dass die Belgier das am wenigsten chauvinistische Volk Europas sind. Sie sind untereinander sehr zerstritten. Aber als Ausländer fühle ich mich sehr wohl da. Es ist auch ein sehr internationales Land, mit vielen internationalen Organisationen. Auch das Essen, die Schokolade und das Bier sind sehr gut.
Ihr Herz schlägt ganz offensichtlich für klassische Musik. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, ein Crossover-Programm zu machen, oder Pop?
Maisky: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich dafür genug Talent mitbringe. Also wenn es ums selber Spielen geht eher nicht. Aber ich bin sehr vielseitig interessiert und sehr offen, ich interessiere mich auch für andere Musikrichtungen. Als klassischer Musiker fühle ich mich am ehesten zu klassischem Jazz hingezogen, aber ich bin auch offen für andere Richtungen. Für mich gibt es eigentlich nur zwei Arten von Musik: gute und nicht so gute. Auch in der klassischen Musik ist nicht automatisch alles großartig.
Gerade erst ist der internationale Tschaikowski-Wettbewerb 2023 in Moskau und Sankt Petersburg zu Ende gegangen, bei dem Sie selbst 1996 den sechsten Platz belegt haben - letztlich sind Sie aber sehr viel erfolgreicher als viele der anderen Teilnehmer damals. Wie stehen Sie zum Thema Konkurrenz im klassischen Musikbetrieb?
Maisky: Das ist wie bei den meisten Dingen im Leben sehr komplex. Ich persönlich bin kein großer Fan von Konkurrenz-Denken in der Musik. Ich bin da eher bei dem großen Komponisten Béla Bartók, der gesagt hat, dass Wettkämpfe für Pferde sind. Gleichzeitig gibt es dabei auch positive Elemente, für junge Leute bedeuten solche Wettbewerbe meist auch mehr Aufmerksamkeit. Wobei das zu meiner Zeit noch viel wichtiger war. Heute findet man ja vieles auch online, man kann auch Aufmerksamkeit im Internet bekommen, auch wenn man so einen Wettbewerb nicht gewonnen hat. Das System ist sicher nicht perfekt, aber was im Leben ist schon perfekt? Es wird immer viel geredet, was bei solchen Wettbewerben hinter den Kulissen passiert. Daher habe ich auch lange abgelehnt, Teil einer Jury zu werden. Ich hab mir immer gedacht: Wer bin ich, dass ich irgendjemanden bewerten sollte. Dabei bewerte ich mich aber selbst jeden Tag, wenn ich auf der Bühne stehe. Mittlerweile war ich zwei Mal in der Jury von großen Musikwettbewerben und habe das sehr genossen, weil man so viele unheimlich talentierte Cello-Spielerinnen und Spieler sieht, das war toll!
Woher nehmen Sie eigentlich Ihre ganze Energie?
Maisky: Ich glaube, wenn Sie etwas im Leben machen, dass Sie leben und lieben - dann gibt es einem viel Energie. Ich bekomme viel Energie aus der Musik und durch die Menschen, mit denen ich durch die Musik kommuniziere.
Das Gespräch führte Anina Pommerenke.