Schlager-Sängerin Mary Roos im Porträt. © www.mary-roos.de / Manfred Esser Foto: Manfred Esser
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AUDIO: Die Grande Dame des deutschen Schlagers: Mary Roos wird 75 (3 Min)

Mary Roos: Nicht nur die Liebe lässt sie leben

Stand: 09.01.2024 20:19 Uhr

Sie gilt als Grande Dame des deutschen Schlagers: Mary Roos. Die Sängerin kann auf ein bewegtes und bewegendes Leben zurückblicken. Im Alter feiert sie weiterhin Erfolge. Am 9. Januar ist sie 75 Jahre alt geworden.

von Jochen Lambernd

"Nutten, Koks und frische Erdbeeren" lautet der Titel von Mary Roos' 2015 gestarteter Bühnentournee mit dem Kabarettisten Wolfgang Trepper - ein Riesenerfolg. 150.000 Zuschauer sind begeistert von den bitter-bösen Schilderungen aus dem Schlagergeschäft. Der Titel geht zurück auf Vertragsbedingungen von Heino. Über das Leben in der Branche sagt die Sängerin trocken: "Wir gingen monatelang auf Tournee - in einem Bus mit Musikern, die das schlimmste Zeug geraucht haben. Von Overstolz bis zu Gauloises. So waren wir schon benebelt, wenn wir ausgestiegen sind."

Was kann da noch kommen für eine Frau, die die 70 überschritten und die Schlagerkarriere an den berühmt-berüchtigten Nagel gehängt hat? Na, klar: "Mehr Nutten, mehr Koks, scheiß auf die Erdbeeren" - so die launige Fortsetzung des Programms, das 2020 auf die Bühne gekommen ist. Diesen Humor, diese Ironie - nicht nur der Schlagerbranche, sondern auch sich selbst gegenüber - hätten viele Menschen bei Mary Roos vielleicht nicht vermutet.

"Bis 40 war ich ziemlich verhuscht und sehr schüchtern", räumt Mary Roos vor einigen Jahren im NDR ein. Erst spät sei es ihr gelungen, ihre Schüchternheit und ihre Ängste zu überwinden - und mit Gelassenheit und Leichtigkeit durchs Leben zu gehen.

Gesangseinlagen zum Tanztee machen den Anfang

Unter dem Namen Marianne Rosemarie Schwab wird sie am 9. Januar 1949 in Bingen am Rhein geboren. Schon im Alter von vier Jahren äußert Mary Roos den Wunsch, "Theaterin" zu werden. Sie hätte sich auch vorstellen können, Innenarchitektin zu werden oder Kunstgeschichte zu studieren, sagt sie später. Doch bekanntlich läuft es anders: Ihre Karriere beginnt im elterlichen Hotel Rolandseck. Als kleines Mädchen gibt Roos Gesangseinlagen zum Tanztee - mit kleinen Belohnungen.

"Gage kann man das nicht nennen. Ich bin immer in Süßigkeiten aufgewertet worden." Mary Roos in der NDR Talk Show (22.10.2022)

Ihre erste Platte "Ja, die Dicken sind ja so gemütlich" kommt bereits 1958 auf den Markt. Ab 1961 folgen weitere Aufnahmen für verschiedene Plattenfirmen. Noch zu Schulzeiten ist sie manchmal monatelang unterwegs - etwa mit den Jazz-Musikern Max Greger oder Paul Kuhn. Sie nimmt im Laufe der Jahre an mehreren Musikwettbewerben teil. Zu ihrer Mentorin entwickelt sich dabei der internationale Star Caterina Valente. 1963 wird Mary Roos erstmals international wahrgenommen. Bei einem Nachwuchswettbewerb im belgischen Seebad Knokke wird sie Zweite. Obwohl sie als Sängerin sehr aktiv ist, lässt der große Erfolg noch auf sich warten. 

"Arizona Man" ist 1970 der Durchbruch

Ihren Durchbruch hat Roos dank markant warmer Stimme mit einer Komposition von Georgio Moroder und Michael Holm von 1970: "Arizona Man". Weil in dem Titel zum ersten Mal Synthesizer zum Einsatz kommen, gilt er stilistisch als Sensation und ist kommerziell ein großer Erfolg. Doch nicht nur beruflich startet sie früh durch. Bereits 1969 heiratet sie den Franzosen Pierre Scardin, der sie in den folgenden Jahren auch als Manager begleitet.

Mary Roos singt bei der ESC-Party auf der Reeperbahn. © NDR
AUDIO: Mary Roos: "Arizona Man" (2 Min)

Erfolgreich unterwegs auf Frankreichs Bühnen

Scardin ist es auch, der Mary Roos Anfang der 1970er-Jahre dazu ermutigt, den Sprung über den Rhein nach Frankreich zu wagen. Mit großem Erfolg: Die in französischer Sprache gesungenen Alben stürmen die Charts, Auftritte in der berühmten Pariser Music-Hall Olympia sind zwei Monate lang ausverkauft. Als ihr schließlich eine Hauptrolle am Theater angeboten wird, sagt Roos zu - obwohl sie kein Wort Französisch spricht. "Ich habe alles auswendig gelernt und wenn einer dann kam und hat mir auf den Fuß getreten, wusste ich, ich muss wieder was sagen", erinnert sich die Sängerin in einem Interview.

Dritter Platz beim Grand Prix mit "Nur die Liebe lässt uns leben"

Mit "Nur die Liebe lässt uns leben" holt sie 1972 den dritten Platz beim damaligen Grand Prix d'Eurovision. Das Lied ist ein Lobgesang auf die Liebe. Den Titel nimmt Roos auch auf Englisch ("Wake Me Early in the Morning"), Französisch ("Nous") und Italienisch ("Non sono più bambina") auf.

Trotz ihres Erfolgs kann Mary Roos sich nicht vorstellen, sich langfristig in Frankreich niederzulassen und es zieht sie Mitte der 1970er-Jahre wieder zurück nach Deutschland. In dieser Zeit trennt sie sich auch von ihrem Mann. 1977 erfolgt die Scheidung. Grund: Sie hat den Musiker Werner Böhm - alias Gottlieb Wendehals - kennengelernt. Mit ihm lebt sie in Hamburg zusammen, 1981 heiratet sie ihn.

Auf den Hund gekommen: Auftritt bei den "Muppets"

Mary Roos ist die erste deutsche Sängerin, die in der Muppet Show aufgetreten ist. "Eine Ehre", wie sie sagt. Sie lernt dabei Jim Henson kennen, der ihr für ihren Auftritt 1977 spontan einen neuen Text schreibt, den sie über Nacht lernen muss. Dabei beweist sie viel Humor und zeigt ihr schauspielerisches Talent.

"Mir ist hundeelend, ich geh noch mal 'ne Runde Gassi." Text von Mary Roos in der Muppet Show (07.02.1977)

Sie singt, begleitet von "Rolf", dem Hund am Klavier, und der Muppet-Band ihr Lied "Komm zu mir" - eine Cover-Version von "Lean on me" (Bill Withers 1972).

"Aufrecht geh'n": Seitensprung versaut Grand-Prix-Auftritt

Mary Roos 1984 beim Vorentscheid für den Grand Prix d'Eurovision in München. © dpa Foto: Istvan Bajzat
Ihr Auftritt beim Grand Prix d'Eurovision steht 1984 unter keinem guten Stern.

Der Grand Prix ist über Jahre ihr großes Thema. Insgesamt fünf Mal nimmt Mary Roos an Vorentscheiden teil - und schafft es nach 1972 auch 1984 in den internationalen Wettbewerb. Ihre zweite ESC-Teilnahme wird jedoch von einem privaten Ereignis überschattet: Kurz vor ihrem Auftritt erfährt Mary Roos, dass ihr Ehemann Werner Böhm ein Kind mit einer anderen Frau erwartet. Nach dieser Hiobsbotschaft wirkt sie in Luxemburg fahrig, abwesend und aus der Rolle gefallen. Ihr Lied "Aufrecht geh'n" bekommt auf bizarre Weise mehr persönlichen Bezug als gedacht. Zu der privaten Demütigung kommt auch noch eine öffentliche Ohrfeige für ihre Performance beim Grand Prix sowie ein abgeschlagener 13. Platz hinzu. Ihrer Karriere schadet all das nicht. Und der Song gehört bis heute zu einem ihrer liebsten Hits.

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Mary Roos singt bei der ESC-Party auf der Reeperbahn. © NDR
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Mary Roos singt "Aufrecht geh'n"

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Spätes Mutterglück mit 37 Jahren

Trotz allem bleibt sie zunächst mit Böhm zusammen. Als 1986 ihr gemeinsamer Sohn Julian zur Welt kommt, zieht sich Roos für ein paar Jahre zurück und konzentriert sich voll und ganz auf ihre Mutterrolle. 1989 wird die Ehe dann doch geschieden. "Das ist ja das Verrückte, wenn man liebt, dann rauscht man ja mit Volldampf in die Katastrophe rein. Und man merkt gar nicht, dass es eine ist", sagt sie rückblickend über die Beziehung - und möchte die Zeit dennoch nicht missen.

Viele Hits und Chansons als heimliche Leidenschaft

Seit den 1990er-Jahren produziert die Sängerin wieder regelmäßig neue Alben. Mit Titeln wie "Rücksicht" und "Leider lieb ich dich immer noch", einer deutschen Version des Cher-Titels "Believe", landet sie Hits. Zahlreiche Fernsehauftritte, Konzerte und immer neue CDs - Roos' Terminkalender ist übervoll. Auch dem ESC bleibt sie verbunden. Mehrfach ist sie Mitglied der deutschen Jury, zuletzt 2018.

Musikalisch erfüllt sie sich einen Wunsch, den sie schon viele Jahre in sich getragen hat: Sie singt Chansons, variiert in ihren Alben diverse Musikstile und bringt Lieder heraus, deren Texte auch mal unangepasst und untypisch für sie sind: etwa über Sex im Alter oder verhasste Single-Sonntage.

Karriere zu Lasten der Familie gemacht

Lange Zeit hat Mary Roos nicht viel Zeit für ihre Familie. Für ihre internationale Karriere bezahlt sie einen hohen privaten Preis. "Ich weiß, dass ich meiner Familie oftmals sehr weh getan habe. Zu keiner Hochzeit war ich da, zu keiner Taufe", sagt der Schlagerstar. "Ich habe gewusst, warum - aber die anderen haben es nicht verstanden. Die haben immer gefragt: 'Warum kommt sie denn nicht? Was ist denn wichtiger, Familie oder der Job?'"

"Das war wohl der größte Fehler, den ich im meinem ganzen Leben gemacht habe. Dass ich mich da nicht genug gekümmert habe. Aber jetzt kann ich's ja machen." Mary Roos in der NDR Talk Show (22.10.2022)

2019 gibt die Sängerin ihren Beruf aus freien Stücken auf, die Verhältnisse ändern sich. "Ich hole jetzt nach, bin bemüht, meine Familie zusammenzuhalten", erklärt die Mutter des erwachsenen Sohns Julian und Schwester von Schlagersängerin Tina York. Statt nur am Telefon zu gratulieren, reist Roos nun persönlich an. Außerdem lade sie gern ein und koche für Familie und Freunde, sagt die Wahlhamburgerin. "Es ist schön, umhüllt zu sein von Familie. Man weiß, egal, was du machst, sie stehen ja zu dir", bringt Roos ihre Einstellung auf den Punkt.

Roos: Optimismus stammt von glücklichem Elternhaus

Die Schlagersängerin sagt über sich selbst, sie behalte auch in eher schlechten Zeiten stets einen positiven Blick auf das Leben - und führt das auf ein glückliches Elternhaus zurück. "Ich habe einen Optimismus in mir, der manchmal mich selbst erschüttert", so Roos. Sie zeigt sich überzeugt davon, dass diese optimistische Grundhaltung nur von einem Zuhause kommen konnte, das in Ordnung war. "Meine Mutter war eine rheinische Frohnatur. Mein Vater dagegen ein disziplinierter, sehr gerader Mann, der nie gelogen hat. Diese beiden Komponenten zusammen machen es aus", erklärt die Sängerin. "Bei mir ist das berühmte Glas immer halb voll. Und selbst wenn ich denke, jetzt bin ich doch ziemlich verzweifelt, sehe ich trotzdem das Gute." Geholfen habe der gebürtigen Rheinländerin dabei die Devise: "Dinge, die du nicht ändern kannst, die musst du bewältigen."

"Man weiß erst zum Ende des Lebens, wen man wirklich geliebt hat"

In ihrer Autobiografie "Aufrecht geh'n. Mein liederliches Leben", die sie zusammen mit ihrer Freundin Pe Werner geschrieben hat, schildert Mary Roos auch ihre beiden geschiedenen Ehen. Mit ihren früheren Lebenspartnern hat sie ihren Frieden gemacht: "Heute würde ich wegen eines Seitensprungs nicht aufgeben", sagt die 73-Jährige der Zeitschrift "Gala" über ihren ersten Ehemann und Manager Pierre Scardin. "Man weiß erst zum Ende des Lebens, wen man wirklich geliebt hat - Pierre steht bei mir weit vorn."

Vom Stimmungssänger Werner Böhm habe sie "viel gelernt". "Ich war immer die gut erzogene Tochter, und dann kommt da so ein groß gewachsener Abenteurer", sagt sie über den 2020 gestorbenen Böhm. "Er hat mir gezeigt, dass im Leben alles möglich ist."

Grabstein-Inschrift sollte "irgendwas Lustiges" sein

Mit Blick auf die eigene Endlichkeit sagt Roos, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" im Oktober 2002, sie habe keine Lust, Trübsal zu blasen. Der Tod sei für sie kein Tabu-Thema. Sie habe jedoch Angst vor einem "qualvollen Tod". Schön sei es stattdessen, wenn man friedlich einschlafen könne; "wenn man sich verabschieden kann; wenn man seine noch ungeklärten Sachen vorher geregelt hat", so Roos. "Ich möchte nicht bei einem Verkehrsunfall sterben. Von der Bühne soll mich auch keiner tragen." Der "Augsburger Allgemeinen" sagt sie im selben Monat, sie freue sich sogar auf das Jenseits. "Denn ich denke mir, ich werde im Jenseits nur die Menschen treffen, die ich mag. Die anderen sind auf einer anderen Etage. Das ist doch eine schöne Vorstellung, oder?"

In ihrem Buch setzt sich die Sängerin auch detailreich mit ihrer eigenen Beerdigung auseinander. Was einmal auf ihrem Grabstein stehen solle, stehe noch nicht so recht fest, aber: "Irgendwas Lustiges soll es schon sein." Vielleicht sind noch mehr Nutten und noch mehr Koks eine Inspiration. Erdbeeren hätten bei einer Erdbestattung sogar einen besonderen Charme. Oder nach "Aufrecht geh'n" doch eher "Waag'recht lieg'n"?

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Musikerin Mary Roos. © Manfred Esser / da music Foto: Manfred Esser / da music

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 09.01.2024 | 19:30 Uhr

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