Stand: 06.11.2017 16:43 Uhr

Albert Speer: "Edel-Nazi mit Reue-Garantie"

von Otto Langels

Albert Speer war einer der prominentesten Nazis, Rüstungsminister des Dritten Reiches, Chefarchitekt der nationalsozialistischen Monumentalbauten und enger Vertrauter Hitlers. Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess dem Todesurteil entronnen, stilisierte er sich im Nachkriegsdeutschland zum unpolitischen Technokraten, der eher zufällig in die Spitze des NS-Regimes aufgestiegen war, nur seine Pflicht getan und von Auschwitz nichts mitbekommen hatte. Mit seinen millionenfach verkauften Erinnerungen gelang Speer nach 1945 eine zweite, erfolgreiche Karriere. Der Münchner Historiker Magnus Brechtken nennt Albert Speer in seiner jetzt erschienenen, umfangreichen Biografie einen "Edel-Nazi mit Reue-Garantie". Mit "Albert Speer. Eine deutsche Karriere" ist er für den NDR Kultur Sachbuchpreis nominiert.

 

Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess trat Albert Speer als reuiger Sünder auf: Er bekannte sich zur allgemeinen Verantwortung für die Untaten des Nationalsozialismus, ohne freilich eine persönliche Schuld einzuräumen. Das rettete ihn möglicherweise vor dem Tod durch den Strang. Speer kam mit 20 Jahren Haft davon.

Die Legende vom unwissend-arglosen Bürger

Mit der Legende vom unwissend-arglosen Bürger befand sich Albert Speer, wie der Historiker Magnus Brechtken in einer beeindruckenden und sehr lesenswerten Biografie schreibt, auf der schuldfreien Seite der Geschichte.

"Auf der anderen standen die ungehobelten Parteimänner mit ihrem lauten Benehmen und den groben Visagen. Das waren 'die Nazis'. Irgendwie war er in deren Nähe geraten." Buchzitat

Adolf Hitler, Hermann Wilhelm Göring und Albert Speer © imago/Leemage
Albert Speer war ab 1942 Reichsminister für Bewaffnung und Munition.

Erstaunlicherweise kam Speer mit seinen Erzählungen davon, obwohl er mit seinem Ehrgeiz und rücksichtslosen Einsatz eine nationalsozialistische Funktionselite repräsentierte, die bis in höchste Kreise aufstieg, im Falle des Rüstungsministers sogar an die Seite Hitlers. Möglich war dies, weil Speer als einziger aus der einstigen Führungsriege eine vage "Kollektiv-Verantwortung" übernahm. Zudem waren wichtige Dokumente, die seine Beteiligung an den NS-Verbrechen belegten, damals noch nicht bekannt.

So konnte Speer im Nürnberger Prozess auf die Frage nach den Arbeitsbedingungen in den unterirdischen Rüstungsfabriken erklären, dass dort einwandfreie Verhältnisse wie in einer Nachtschicht in einem normalen Betrieb geherrscht hätten, mit gutem Licht und Frischluft.

"Nichts davon, dass wusste Speer aus eigener Anschauung, entsprach auch nur im Entferntesten der Wahrheit." Buchzitat

Tatsächlich kamen von den 60.000 KZ-Häftlingen in der Stollenanlage Mittelbau-Dora ein Drittel ums Leben.

Das Märchen vom geplanten Attentat auf Hitler

Albert Speer 1975 in seinem Elternhaus in Heidelberg © imago Foto: Sven Simon
Albert Speer kam mit seinen Erzählungen davon, obwohl er eine nationalsozialistische Funktionselite repräsentierte, die bis in höchste Kreise aufstieg.

Ähnlich geschickt setzte Speer in Nürnberg das Märchen vom geplanten Attentat auf Hitler in die Welt. So habe er im Februar 1945 Giftgasgranaten in den Luftschutzbunker der Reichskanzlei werfen wollen.

"Das war frei erfunden. Aber Speer erreichte, was er wollte. Einige Mitangeklagte reagierten verstört, Göring schimpfte wütend, Schirach sprach von Schande - das alles unter den wachsamen Augen der Alliierten, in deren Wahrnehmung sich damit Speers Sonderrolle weiter profilierte." Buchzitat

Und, wie Magnus Brechtken akribisch und überzeugend nachzeichnet, von der deutschen Nachkriegsgesellschaft dankbar aufgegriffen wurde.

"Speer war repräsentativ für eine Vielzahl seiner Mitbürger. 'Die Nazis', das waren nach dem 8. Mai 1945 plötzlich 'die anderen'.  Er entwickelte sich zum prominentesten, eifrigsten und erfolgreichsten Protagonisten der Ablenkungserzählung." Buchzitat

Dankbares Publikum

Die Legende vom "guten Nazi" verbreitete Albert Speer unter tatkräftiger Mitwirkung des Verlegers Wolf Jobst Siedler und seines Lektors Joachim Fest. In den beiden fand Speer "zwei ideale Mitkonstrukteure für seine Fabelgeschichten", so Brechtken. Die publizierten "Erinnerungen" und die "Spandauer Tagebücher" fanden ein dankbares Publikum und wurden zu Bestsellern. 

der Münchner Historiker Magnus Brechtken © imago/argum Foto: Thomas Einberger
Magnus Brechtken ist stellvertretender Direktor beim Institut für Zeitgeschichte in München und lehrt als außerplanmäßiger Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Kaum jemand prüfte den Wahrheitsgehalt. Kritische Nachfragen musste Speer nicht befürchten, als ihn Joachim Fest im Oktober 1969 für das NDR-Fernsehen interviewte. Auf die Frage Fests, was Speer persönlich von der systematischen Ausrottung der Juden wusste, antwortete dieser: "Hitler hat es verstanden, die Dinge, die er vorbereitete, geheim zu halten." Speer konnte unwidersprochen behaupten, nur eine vage Ahnung von den Konzentrationslagern gehabt zu haben. Den Namen Auschwitz hätte er nie direkt gehört.

Tatsächlich hatte der Reichsminister im Jahr 1942 13,7 Millionen Reichsmark für die Vergrößerung des Barackenlagers Auschwitz bewilligt.

"Die Beschäftigung mit Albert Speers Lebensgeschichte löst denn auch beim Betrachter so manche Verwunderung aus. Immer wieder stößt man auf eindeutige, zum Teil seit langem leicht zugängliche Belege für seine Verbrechen - zuallererst sein aktiver Beitrag zur Judenverfolgung und sein jahrelanger Einsatz für die Verlängerung des Vernichtungskrieges." Buchzitat

Am Ende bleibt Magnus Brechtken nur das Staunen über die Naivität vieler Zeitgenossen und auch mancher Historiker, die Speers Erzählungen ungeprüft Glauben schenkten, und, so muss man wohl hinzufügen, Glauben schenken wollten.

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von Magnus Brechtken
Seitenzahl:
912 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Siedler
Veröffentlichungsdatum:
07.06.2017
Bestellnummer:
978-3-8275-0040-3
Preis:
40,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 06.11.2017 | 19:00 Uhr

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