Anna Genger in ihrem Museum "L'apotheque" © NDR/ Anina Pommerenke Foto: Anina Pommerenke

"L'apotheque" - ein Museum für den Umgang mit der Lust

Stand: 04.03.2021 14:46 Uhr

Künstlerin Anna Genger will mit ihrem privaten Museum "L'apotheque" für einen positiven Umgang mit Sexualität und Lust werben.

von Anina Pommerenke

Dunkle Holzregale mit vielen Schubladen bis unter die Decke treffen auf jahrhundertealte Glasgefäße in unterschiedlichen Formen und Farben. In einer denkmalgeschützen Apotheke von 1799 hat Anna Genger Deutschlands erstes Museum für historisches Sexspielzeug eingerichtet. Die Exponate hat die Künstlerin auf den massiven Regalen und dunklen Marmor-Ablageflächen ansprechend drapiert. Gleich neben dem Eingang hängen einige metallische Geräte an durchsichtigen Fäden.

"Die hier sind von 1920", erklärt Genger und fügt hinzu: "Das sind Punkt-Vibratoren, die man als solche heute gar nicht mehr erkennt, wenn wir hier Besucher haben, dann denken sie immer, sie gucken sich einen Föhn an. Einen Föhn - statt mit Puste- mit Saugaufsätzen. Und dann muss man natürlich auch dazu sagen, dass das keine Geräte waren, die damals explizit für Sexualität genutzt werden sollten, sondern um Muskelverspannung zu lösen."

Sexspielzeuge aus Japan und der DDR

Exponate im Museum "L'apotheque" © NDR/ Anina Pommerenke Foto: Anina Pommerenke
Die Exponate in der "L'apotheque" präsentieren eine kleine Zeitreise durch die vergangenen Jahrzehnte.

Die Exponate zeugen nicht nur von der Kreativität, mit der Sexspielzeuge seit eh und je entwickelt wurden: so wie etwa eine Weinflasche mit besonders langem Hals aus der DDR, die aus Ermangelung an Alternativen hergestellt wurde - oder handgeflochtene, japanische Exponate aus Naturwurzeln. Sie zeigen auch eine ästhetische und fast künstlerische Seite des Sujets.

"Es geht eben überhaupt nicht darum, anzüglich zu sein, es geht darum einen offenen Umgang mit Körperlichkeit zu etablieren", sagt Genger und ergänzt: "Eine Hürde ist eben auch, dass man das hier sehr simplifiziert 'Dildo-Museum' nennt - und diese Schenkelklopferei nicht ganz aus dem Weg zu räumen ist. Ich sage dann immer - mit 'nem Augenzwinkern - dass wir hier einen Bildungsauftrag haben, der angelehnt ist an den der Deichtorhallen oder der Kunsthalle. "

Endlich raus aus der Schmuddelecke

Anna Genger ist praktisch in der Apotheke aufgewachsen. Ihre Mutter hat sie bis zu ihrem 83. Lebensjahr geführt und wohnt nach wie vor über dem Museum. Danach hat sich die freiberufliche Künstlerin ein Konzept überlegt, um die gepachteten Räumlichkeiten mit neuem Leben zu füllen. Körperliche Gesundheit, Apotheke, Sexualität - für sie eine natürliche Verbindung. Die Unternehmerin gibt zu Bedenken, dass wenig darüber bekannt sei, welchen Beitrag die sogenannte "Sex-Tech"-Industrie allgemein zur Gesundheit leiste: zum Beispiel mit Forschung in den Bereichen Unfruchtbarkeit, Erektionsstörungen und zu den Wechseljahren. Dennoch komme die Branche aus der Schmuddelecke nicht heraus. "Dass solche Firmen Schwierigkeiten haben gefördert zu werden oder dass Investoren zurückschrecken oder Investoren nicht in die Öffentlichkeit treten wollen, wie sie ein Stigma befürchten. Und dass das 2021 noch so ein Thema ist, ist traurig", bilanziert Genger.

Lesungen und Konferenzen in der Planung

Zarah Henschen © NDR/ Anina Pommerenke Foto: Anina Pommerenke
Zarah Henschen hat den feministischen Sexshop "Fuck Yeah" gegründet.

Teil ihres bildungsorientierten Konzepts sind daher Seminare und Workshops: mit Sexualtherapeuten, Sexworkerinnen oder Yogalehrern. Eine Kooperation besteht bereits mit dem feministischen Hamburger Sexshop "Fuck Yeah". In einem Online-Vortrag gibt Gründerin Zarah Henschen Einblicke in die historische Entwicklung von feministischen Sexshops.

"Was sie anders machen ist, dass sie sich anders mit den Geschlechterverhältnissen beschäftigen und dass sich das im Warensortiment und der Präsentation wiederspiegelt", sagt Henschen. "Also: Wie sind Waren zugänglich, wie wird Beratung angeboten - mit was für Bildern und Wörtern werden die vermarketet - was für Geschlechterrollenbilder transportiert man durch so etwas auch."

Anna Genger hofft darauf, dass in den historischen Räumlichkeiten bald auch Lesungen, Ausstellungen und Konferenzen stattfinden können. Sodass mitten in Hamburgs vermeintlichem Schmuddelviertel St. Pauli ein Ort entsteht, an dem die Themen Sexspielzeuge und Sexualität weiter aus der Schmuddelecke herausgeholt werden.

Weitere Informationen
Beate Uhse 1984 vor der Flensburger Zentrale. © picture-alliance / dpa Foto: Wulf Pfeiffer

Beate Uhse: Erotik-Pionierin hinterlässt vielfältiges Erbe

Beate Uhse hat den ersten Sexshop der Welt gegründet und ein vielfältiges Erbe hinterlassen. Doch im Stammhaus Flensburg gehen die Lichter aus. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 04.03.2021 | 09:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Museen

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Mehrere Weihnachts-Wunschzettel liegen auf einem Stapel. © Screenshot

Sammlung in Husum: Was alte Wunschzettel erzählen

Die Exponate im Husumer Weihnachtshaus zeigen: Wunschzettel haben sich im Laufe der Zeit drastisch verändert. mehr