Karneval: Woher kommt der Spaß an der Verkleidung?
Im Karneval verkleiden sich viele Menschen und schlüpfen in andere Rollen. Warum ist das so? Fragen an Gudrun König, die an der TU Dortmund Kulturanthropologie des Textilen lehrt.
Im Interview spricht Gudrun König unter anderem auch über Verkleidungen, die heutzutage in Verruf geraten sind, etwa die als Indianer oder als Chinese.
Frau König, woher kommt die Lust am Rollenwechsel, an der Maskerade?
Gudrun König: Für Kinder und auch für Große hat das Verkleiden spielerische Züge des Rollentausches. Es gibt den Begriff des "Homo Ludens" des Kulturhistorikers Johan Huizinga: Homo Ludens, der spielerische Mensch, ist eine Grundkategorie menschlichen Verhaltens.
Das heißt, man schlüpft in eine Rolle, die man im wahren Leben nicht einnehmen könnte?
König: Genau. Im Alltag sind wir auch in verschiedenen Rollen, und da wird es sozusagen auf die Spitze getrieben und sichtbar gemacht.
Welche Rollen suchen sich Menschen aus? Kann man das so allgemein sagen?
König: Es kommt darauf an, welche Art von Fasching, Karneval oder Fastnacht man hat. Es gibt sehr unterschiedliche Maskentraditionen. Dann kommt es darauf an: Bin ich nur Zuschauerin oder nehme ich teil? Bin ich in einer Gruppe? Ist es ein Gemeinschaftsereignis, wo man sich gemeinsam - zum Beispiel als Meerjungfrau - verkleidet? Es kommt also immer auf die Situation an.
Bei den Karnevalssitzungen in den Karnevalshochburgen sehen wir die Menschen vom Karnevalsverein mit vielen Orden, die vor allem diese Mützen mit den langen Federn aufhaben, sonst aber in Anzügen sind. Was ist das für eine Art von Verkleidung?
König: Grundsätzlich wird im Karneval die Welt auf den Kopf gestellt. Diese verkehrte Welt ist ein traditionelles Muster, und die Rollen der Macht werden verkehrt. Die Narren übernehmen dann die Macht, und deswegen haben sie Auszeichnen und Insignien. Zum Teil sind es auch mittelalterliche Kostüme, oder es gibt auch diese links- und rechtsgeteilte Kleidung - die kommt aus der höfischen Tradition. So gibt es also unterschiedliche Traditionen.
Früher hat man sich gerne als Indianer oder als Chinese verkleidet - das wird inzwischen nicht mehr gemacht, oder?
König: Inzwischen gibt es eine relativ breite Diskussion, seit sechs, sieben Jahren: die Kampagne "Ich bin kein Kostüm", initiiert von People of Color in den USA als Ausdruck einer länderübergreifenden Anti-Diskriminierungsbewegung. Das wurde im Kölner Karneval 2017 aufgegriffen. Dadurch sind verschiedene traditionelle Faschingskostüme in Verruf geraten.
Auch einfacher Rollentausch wie Mann-Frau ist nicht mehr so einfach aufgrund der queeren Bewegung. Da ist einiges in Bewegung, und ich denke, eine Gesellschaft muss ständig dazulernen und Sensibilität in Bezug auf kulturelle Aneignung entwickeln. Das ist ein Muss heute. Unverdächtig sind alle Kostüme der Mehrheitsgesellschaft, aber da, wo sich Minderheiten diskriminiert, marginalisiert oder ausgegrenzt fühlen, wird es kritisch. Diese Kritik richtet sich auf den Rollentausch und die Darstellungsweisen, die eine gewaltvolle Geschichte verdecken. Diese romantischen Bilder des Indianers etwa verdecken diese gewaltvolle Geschichte und die Kolonialisierungsverhältnisse.
Ich habe vor Jahren mal ein Praktikum beim WDR im Dortmund gemacht - Sie haben ja Ihren Lehrstuhl in Dortmund -, und den Karnevalsumzug dort habe ich nicht so spektakulär in Erinnerung.
König: Es gibt Orte, wo es eine lange Tradition hat, meistens katholische Orte, und es gibt Orte mit protestantischer Tradition. Dortmund ist dazwischen, wo es erst relativ spät initiiert wurde, wo erst in den 90er-Jahren oder so ein Karnevalsverein gegründet wurde. Da ist es nicht so ausgeprägt wie in diesen Traditionsorten.
Das Politische spielt bei den Wagen eine wichtige Rolle: Da wird Tagespolitik und große Weltpolitik aufs Korn genommen. Bei den Verkleidungen der Menschen spielt es eigentlich nicht so eine große Rolle, oder?
König: Ja, das stimmt. Es gibt manchmal auch Verkleidungen als Politiker, in Ablehnung oder in Identifikation - das ist ja immer die Frage beim Faschingskostüm.
Verkleiden Sie sich auch?
König: Sehr selten.
Das Interview führte Philipp Schmid.