KI: Welche Chancen ergeben sich beim Komponieren von Musik?
Ali Nikrang forscht über die Zusammenarbeit von Menschen und KI in kreativen Prozessen mit dem Schwerpunkt Musik. Er sagt: KI öffnet Türen zu völlig neuen Kunstformen. Ein Gespräch.
Herr Nikrang, wo steht KI-basiertes Komponieren heute? Was kann die KI?
Ali Nikrang: Wir sind noch in einer Entwicklungs- und Forschungsphase. Wenn wir die KI im Bereich der Musik mit der kreativen KI im Bereich Text und Bild vergleichen, sind wir ein bisschen hinterher. Das Eine ist, dass wir in der Musik noch nicht so große Datensätze haben, vor allem die, die natürliche Sprache mit musikalischem Inhalt verbinden. Es gibt aber auch konzeptuelle Probleme. Bei der Musik haben wir das Problem, dass es allgemein schwierig ist, über Musik verbal zu kommunizieren. Da werden Wege gesucht, wie technische Systeme weiterentwickelt werden, aber gleichzeitig auch, wie die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine stattfindet. Das ist in dem Bereich ein sehr wichtiges Problem, das gelöst werden muss.
Sind Sie zuversichtlich, dass es eines Tages gelöst werden kann?
Nikrang: Auf jeden Fall. Wenn man mit solchen Systemen arbeitet, wird man immer wieder vom kreativen Potenzial überrascht, das in solchen Systemen steckt. Aber das Problem ist, dass man Wege braucht, um herauszufinden, wie man das System steuert. Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn wir ein Schwarz-Weiß-Filter auf ein Bild anwenden, wissen wir genau, wie das Ergebnis auszuschauen hat. Wenn das Ergebnis nicht schwarz-weiß ist, sagen wir, dass irgendwas nicht funktioniert hat. Wenn es um kreative KI geht, dann haben wir das Problem, dass kreative Systeme laut Definition autonom sein müssen. Das heißt, je mehr wir uns vorstellen können, wie das Ergebnis sein wird, desto weniger kreativ ist das System, weil wir ja etwas bekommen, was wir schon erwarten.
Wenn ich eine KI beauftragen würde, ein Werk zu erstellen - wer wäre dann eigentlich die Urheberin?
Nikrang: Ich sehe die KI nicht als die Urheberin, weil die KI nie eine Absicht hat, ein Werk zu erschaffen. Die KI hat auch keine Vorstellung davon, wie dieses Werk auszuschauen hat, und auch kein Bedürfnis, dieses Werk mit der Öffentlichkeit, mit den Menschen zu teilen. Die KI ist eigentlich ein geschlossenes System, das alles reflektiert, womit das System trainiert ist. Im Falle von Musik mit allen musikalischen Stücken, die wir der KI gegeben haben.
Die Telekom hat vor ein paar Jahren mal die Unvollendete Sinfonie von Beethoven von einer KI vollenden lassen. Sie haben mal ein Fragment von Mahlers Zehnter Sinfonie genutzt und gezeigt, was KI daraus machen kann. Waren Sie überrascht von dem Ergebnis?
Nikrang: Das war eine andere Zeit im KI-Zeitalter, das war 2019, und in diesem Jahr ist MuseNet von OpenAI herausgekommen. Das war eine Zäsur im Bereich der KI-basierten Komposition. Das war das erste Mal, dass die KI überhaupt imstande war, ganz einfach, ganz natürlich Stücke zu komponieren, die wir Menschen als "natürliche" Musik wahrgenommen haben. Diese Überraschung war jedenfalls sehr groß. Ich kann mich erinnern, wie aufgeregt ich war, als ich gesehen habe, dass es endlich soweit ist, dass die KI natürliche Musik, menschliche Musik komponieren kann. Auf der anderen Seite war ich auch von der Qualität überrascht, wie die KI mit dem Material von Gustav Mahler umgegangen ist, weil die Symphonie musikalisch gesehen ein komplexes Werk ist: Es fängt mit einem monotonen Thema an, wo es gar nicht mal klar ist, in welcher Tonalität dieses Thema liegt.
Und da ist auch die Frage: Was hat Komponieren wirklich mit Intelligenz zu tun? Wie wichtig ist der schöpferische Prozess, vielleicht auch das Geniale des Moments?
Nikrang: Intelligenz ist ein sehr schwieriges Wort. Was wir hier, gerade wenn es um die Kreativität geht, nicht vergessen sollten, ist, dass trotzdem ein Mensch im Hintergrund ist, auch wenn wir KI-Systeme benutzten, um etwas zu generieren. Im einfachsten Fall wählt der Mensch nur aus, was die KI vorschlägt. Es geht aber auch weiter. Der Mensch hat die Möglichkeit, verschiedene Zustände miteinander bewusst zu kombinieren - und das sehe ich schon als Intelligenz. Aber das ist die Intelligenz, die eigentlich von dem Menschen kommt. Es kann aber auch noch weitergehen: Wenn wir davon ausgehen, dass die KI sehr essentielle Eigenschaften der Musik lernen muss, um imstande zu sein, Musik zu komponieren, dann stellt sich die Frage: Was, wenn wir genau diese Eigenschaften gezielt anders miteinander kombinieren, um zum völlig neuen Ergebnis zu kommen? Dort sehe ich den Kern des kreativen Prozesses, weil man als Mensch genau dort versucht, das System gezielt in einen bestimmten Zustand zu führen. Dort würde ich die Intelligenz sehen.
Das Interview führte Julia Westlake.